Forschung mit Photonen

Der Nanokosmos im Fokus einzigartiger Lichtquellen

Das Röntgengerät in der Arztpraxis macht das Innere des Körpers sichtbar: Ist nach einem Unfall ein Knochen gebrochen, oder kommt der Verunglückte mit Prellungen davon? Doch nicht nur die Medizin, auch die Wissenschaft profitiert von den durchdringenden Strahlen: Indem sie ihre Proben mit Röntgenlicht durchleuchten, können Forschende verschiedener Fachdisziplinen die atomare Struktur unterschiedlichster Materialien und die Dynamik ultraschneller Prozesse im Nanokosmos im Detail entschlüsseln. Für diese „Forschung mit Photonen“, die Forschung mit Licht(teilchen), stellt DESY einige der besten Lichtquellen der Welt bereit.

Mit herkömmlichen Röntgenröhren, wie sie in Kliniken und Arztpraxen stehen, kommen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler meist nicht mehr aus. Für ihre Experimente benötigten sie maßgeschneidertes Licht aus speziellen Lichtquellen. So liefern Teilchenbeschleuniger extrem starke und gebündelte Röntgenstrahlung. Sie ist so intensiv, dass sie allerfeinste Details sichtbar machen kann: minimale Strukturänderungen von Batterien nach zahlreichen Ladevorgängen, winzige Veränderungen von Solarzellen im Betrieb oder die Position einzelner Atome in einem Eiweißmolekül, um Krankheitserreger besser bekämpfen zu können. Und wenn die Forschenden ihre Proben mit extrem kurzen Licht- oder Röntgenblitzen von Lasern untersuchen, können sie ultraschnelle Prozesse erfassen, etwa den Ablauf von chemischen Reaktionen.

Weltweit einzigartige Lichtquellen

DESY betreibt in Hamburg einige der besten Forschungslichtquellen der Welt: Der Speicherring PETRA III erzeugt brillantes Röntgenlicht für unterschiedlichste Experimente. Der Freie-Elektronen-Laser FLASH produziert ultrakurze Laserblitze im weichen Röntgenbereich, und der europäische Röntgenlaser European XFEL ist ein wahres Supermikroskop. Für ergänzende Messungen werden zudem passgenaue Lasersysteme entwickelt.

Zusammen mit zahlreichen Speziallaboren machen diese Anlagen DESY zu einem der international führenden Zentren für die Erforschung der Struktur, Dynamik und Funktion von Materie mithilfe von Röntgenlicht. Mit dem geplanten Ausbau von PETRA III zur leistungsstärksten und weltbesten Speicherring-Röntgenlichtquelle PETRA IV und der Aufrüstung von FLASH im Rahmen des Projekts FLASH2020+ wird sich DESY diese Spitzenposition auch in Zukunft sichern.

Starker Partner für Kooperationen

Ohne Vernetzung und Zusammenarbeit verschiedener Institute, Länder und Fachdisziplinen ist Spitzenforschung heutzutage kaum noch möglich. Auch DESY agiert in dicht geknüpften Netzwerken. Die weltweit einzigartigen Anlagen für die Forschung mit Photonen locken jährlich mehr als 3000 Gastforschende aus über 40 Nationen nach Hamburg. Und immer mehr Institutionen siedeln sich auf dem Campus an, um die DESY-Anlagen zu nutzen und eng mit DESY zu kooperieren.

Breites Forschungsspektrum

Die Experimente an den Lichtquellen bei DESY reichen von der Grundlagenforschung bis zur anwendungsnahen Forschung von Wissenschaft und Industrie in den Forschungsfeldern Physik, Chemie, Biologie, Medizin, Lebenswissenschaften, Geowissenschaften, Materialforschung sowie der Untersuchung von Kulturgütern. Häufig arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ganz unterschiedlicher Disziplinen zusammen, um gemeinsam neue Erkenntnisse zu gewinnen oder neue Methoden zu entwickeln.

Von Einblicken in Katalyseprozesse und umweltfreundliche Werkstoffe …

Physikerinnen und Physiker erkennen mithilfe des Röntgenlichts aus den DESY-Lichtquellen, aus welchen Atomsorten sich ein Nanowerkstoff oder Halbleiter zusammensetzt und wie die Atome angeordnet sind. Chemische Reaktionen können in Echtzeit verfolgt und analysiert werden, um zu erforschen, was genau zum Beispiel bei der Katalyse passiert. So lässt sich etwa herausfinden, wie Wasserstoff nachhaltig erzeugt werden kann – ein Prozess von enormer ökonomischer Bedeutung.

In der Materialforschung helfen die Untersuchungen bei DESY, Solarzellen zu verbessern, Ermüdungserscheinungen von Batterien zu untersuchen, energiesparende Bearbeitungsprozesse von Werkstücken für die Autos und Flugzeuge der Zukunft auszuloten, leistungsfähigere Materialien zur Energie- oder Datenspeicherung zu entwickeln oder aus nachwachsenden Rohstoffen umweltfreundliche Werkstoffe herzustellen. In den Geowissenschaften lassen sich Minerale unter Bedingungen ähnlich wie im Erdinneren grundlegend studieren oder veränderte Quarzstrukturen verstehen, die durch Asteroideinschläge auf der Erde hervorgerufen wurden. Auch kulturelle Schätze, wie archäologische Fundstücke, alte Schriftstücke und Gemälde, können mit den DESY-Lichtquellen im Detail untersucht werden.

… zu Erkenntnissen über Krankheitserreger und medizinische Wirkstoffe

In Lebenswissenschaften und Biologie können Forschende Stoffwechselprozesse wie die Photosynthese oder die Aufnahme von Schadstoffen in Pflanzen untersuchen, 3D-Karten der Nervenzellen im Gehirn erstellen oder die Struktur und Funktionsmechanismen von Krankheitserregern, Proteinen und anderen Biomolekülen entschlüsseln. Damit leisten sie wesentliche Beiträge zum Verständnis relevanter biologischer Prozesse sowie zur Bekämpfung von Erkrankungen und Entwicklung von neuen Arzneimitteln – unabdingbar für die Medizin.

So erhielt die israelische Biochemikerin Ada Yonath im Jahr 2009 den Nobelpreis für Chemie für die Strukturaufklärung des Ribosoms, der Proteinfabrik der Zellen, für die sie wichtige Experimente damals noch an der Lichtquelle DORIS bei DESY durchgeführt hatte. Schon kurz nach Beginn der Covid-19-Pandemie 2020 wurde PETRA III für Experimente genutzt, um die Infektion durch das SARS-CoV-2-Virus auf molekularer Ebene zu verstehen, und weitere Messungen haben zur Impfstoffentwicklung beigetragen.