Molekülballett im Röntgenlaser

Forscher schießen Gruppenfoto von freien Molekülen mit Freie-Elektronen-Laser

Die zufällig orientierten Moleküle (grüner Strahl) werden von einem optischen Laser (rot) alle in dieselbe Pose gebracht und dann mit dem Röntgenpuls (blau) abgelichtet. Aus dem resultierenden Röntgen-Streubild (rechts oben) lassen sich Informationen über die Molekülstruktur berechnen. Bild: Stephan Stern/CFEL

Hamburg, 28. Februar 2014. Ein internationales Forscherteam hat mit dem weltstärksten Röntgenlaser Schnappschüsse freier Moleküle gewonnen. Die Wissenschaftler um Prof. Jochen Küpper vom Hamburger Center for Free-Electron Laser Science (CFEL) haben dazu eine Art Molekülballett im Röntgenstrahl choreographiert. Mit ihrer Arbeit nehmen die Forscher wichtige Hürden auf dem Weg zu Röntgenbildern individueller Moleküle, wie sie im Fachblatt "Physical Review Letters" erläutern. Das CFEL ist eine gemeinsame Einrichtung von DESY, der Universität Hamburg und der Max-Planck-Gesellschaft.

"Uns sind die ersten Röntgenlaseraufnahmen eines Ensembles isolierter Moleküle gelungen", sagt DESY-Forscher Küpper, der auch Professor an der Universität Hamburg sowie Mitglied des Exzellenzclusters Hamburg Centre for Ultrafast Imaging (CUI) ist. "Die Moleküle haben dafür alle synchron posiert." Dieser Ansatz ebne den Weg zur Untersuchung der ultraschnellen Dynamik isolierter Moleküle. Zwar lassen sich Moleküle auch mit anderen Techniken ablichten, keine kommt aber mit so kurzen Belichtungszeiten aus wie der Röntgenlaser.

Um die atomare Struktur von Molekülen zu bestimmen, werden diese gewöhnlich kristallisiert und dann mit hellem Röntgenlicht durchleuchtet. Allerdings lassen sich manche Moleküle nur sehr widerwillig in Kristallform zwingen, insbesondere bei vielen Biomolekülen ist dies ein Problem. Zudem können Moleküle in einem Kristall andere Eigenschaften haben als in freier Form. Und Moleküldynamik lässt sich im Kristallzustand nur sehr eingeschränkt erkunden. Diese Informationen sind jedoch in Chemie, Physik, Materialforschung und den Lebenswissenschaften heiß begehrt. Forscher arbeiten daher an Methoden, um Schnappschüsse einzelner, ungebundener Moleküle machen zu können.

"Die von uns untersuchten Moleküle gehören mit zu den kleinsten Strukturen in Chemie und Biologie und bestehen nur aus einer Handvoll Atome", betont Ko-Autor Dr. Stephan Stern vom CFEL. "Um sie zu beobachten, braucht man die stärkste Röntgenquelle der Erde mit der kürzesten Belichtungszeit - eine zehnbillionstel Sekunde." Die Forscher nutzten für ihre Versuche daher den derzeit stärksten Röntgenlaser, die Linac Coherent Light Source (LCLS) des US-Beschleunigerzentrums SLAC in Kalifornien. Dieser sogenannte Freie-Elektronen-Laser (FEL) erzeugt kurzwelliges Röntgenlicht, indem er schnelle Elektronen aus einem Teilchenbeschleuniger mit starken Magneten auf einen eng gesteckten Slalomkurs schickt.

In jeder Kurve geben die schnellen Teilchen Lichtblitze ab, die sich zu einem intensiven Laserpuls verstärken. Diese Röntgenpulse haben so eine kleine Wellenlänge, dass mit ihnen selbst atomare Details sichtbar werden. Und sie sind so kurz und hell, dass sich die ultraschnelle Bewegung von Molekülen einfrieren lässt. Allerdings lässt sich gegenwärtig selbst mit diesem hellen Licht noch kein brauchbares Bild von einem einzelnen Molekül gewinnen. Daher untersuchen Forscher die Moleküle mit einem Trick: Sie messen, wie stark das Röntgenlicht an den Molekülen gestreut wird. Aus diesem Streubild lässt sich die Molekülstruktur berechnen. Je mehr Moleküle zu dem Streubild beitragen, etwa in einem Kristall, desto deutlicher wird es.

Statt eines Kristalls lichteten die Forscher um Küpper ein Ensemble von jeweils rund 100 Einzelmolekülen auf demselben Bild ab. Diese Moleküle müssen allerdings alle gleich orientiert sein, damit sich ihre Streubilder überlagern und verstärken. Für seine Versuche wählte das Team ein einfaches Molekül, das aus einem sogenannten Benzolring besteht, an dem oben und unten jeweils ein Iod-Atom hängt, und der zudem einen kleinen Nitril-Arm aus Kohlenstoff und Stickstoff besitzt. Diese chemisch als Diiodobenzonitril bezeichnete Verbindung haben die Forscher zunächst mit einem inhomogenen elektrischen Feld sortiert, so dass nur Moleküle in wenigen Quantenzuständen in den Röntgenstrahl wandern konnten. Mit einer speziellen Laseranordnung brachten sie anschließend die Teilchen dazu, wie die Mitglieder einer Ballettgruppe für das Foto alle dieselbe Haltung einzunehmen, so dass alle Benzolringe die beiden Iod-Atome nach oben und unten ausrichteten.

"Wir haben die Moleküle sortiert, auf die Bühne geführt und dazu gebracht, dass sie sich für das Foto synchron in Pose werfen", schildert Stern. "Dort haben wir sie mit einem ultrakurzen Blitz von unerreichter Helligkeit fotografiert. Die Belichtungszeit war so kurz, dass die superschnellen Bewegungen der Moleküle eingefroren wurden und wir ein scharfes Bild der winzigen Strukturen aufnehmen konnten." Auf diese Weise bestimmten die Forscher beispielsweise den Abstand der beiden Iodatome am Benzolring auf 800 Pikometer (800 milliardstel Millimeter), was gut mit dem aus der Theorie bekannten tatsächlichen Wert von 700 Pikometern übereinstimmt.

Die Versuche weisen damit den Weg zur Untersuchung der ultraschnellen Moleküldynamik, insbesondere am europäischen Röntgenlaser European XFEL, der zurzeit vom DESY-Gelände in Hamburg-Bahrenfeld bis in die benachbarte Stadt Schenefeld in Schleswig-Holstein gebaut wird, und der eine rund 200-fach höhere Pulsrate besitzen wird. "Künftig werden wir die Moleküle dazu bringen können, festgelegte Bewegungsabläufe auszuführen, beispielsweise alle mit den Armen zu winken", sagt Küpper. "Diese Bewegung lässt sich dann filmen, indem wir das Experiment oft wiederholen, jeweils Schnappschüsse zu leicht unterschiedlichen Zeiten machen und diese zu einem Film zusammensetzen. Ähnlich wie eine Superzeitlupe im Sport oder in Dokumentarfilmen werden diese Filme die genauen Bewegungsabläufe der Moleküle während chemischer Reaktionen in bislang unerreichter Detailgenauigkeit zeigen."

An der Studie waren Forscher aus Deutschland, Dänemark, den Niederlanden, Schweden und den USA beteiligt.

Die Linac Coherent Light Source, eine vom US-Energieministerium finanzierte Forschungseinrichtung, ist der weltweit erste Freie-Elektronen-Laser für harte Röntgenstrahlung. Er erlaubt, atomare Details auf ultrakurzen Zeitskalen zu beobachten und ermöglicht damit grundlegende Erkenntnisse in Physik, Chemie, Strukturbiologie, Energieforschung und vielen anderen Feldern.

Das Deutsche Elektronen-Synchrotron DESY ist das führende deutsche Beschleunigerzentrum und eines der führenden weltweit. DESY ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft und wird zu 90 Prozent vom BMBF und zu 10 Prozent von den Ländern Hamburg und Brandenburg finanziert. An seinen Standorten in Hamburg und Zeuthen bei Berlin entwickelt, baut und betreibt DESY große Teilchenbeschleuniger und erforscht damit die Struktur der Materie. Die Kombination von Forschung mit Photonen und Teilchenphysik bei DESY ist einmalig in Europa.


Originalveröffentlichung
“X-ray diffraction from isolated and strongly aligned gas-phase molecules with a free-electron laser”; J. Küpper, S. Stern, H. N. Chapman, et al.; Physical Review Letters, 28.2.2014; DOI: 10.1103/PhysRevLett.112.083002

Wissenschaftliche Ansprechpartner
Prof. Jochen Küpper, Center for Free-Electron Laser Science, DESY und Universität Hamburg, +49 40 8998-6330, Jochen.Kuepper@desy.de

Die Arbeit wird auch von APS Focus vorgestellt.

Pressekontakt
DESY-Pressesprecher Thomas Zoufal, +49 8998-1666, presse@desy.de

Bilder


Das untersuchte Diiodobenzonitril besteht aus einem Benzolring (grau/weiß), bei dem ein Wasserstoffatom durch einen Nitrilarm aus Stickstoff (blau) und Kohlenstoff ersetzt ist und zwei weitere Wasserstoffatome durch je ein Iod-Atom (violett) am oberen und unteren Ende. Bild: Stephan Stern/CFEL

Simulation der erwarteten Unterschiede in den Streubildern zufällig und gleichmäßig ausgerichteter Moleküle. Die Messung hat diese Erwartung gut reproduziert. Bild: Stephan Stern/CFEL

Eine Sortiermaschine für Moleküle sorgt dafür, dass nur gleichartige Moleküle in den Röntgenstrahl gelangen. Dazu durchfliegen die Moleküle ein inhomogenes elektrisches Feld zwischen dem Stab im Zentrum und dem darunterliegenden Trog, das unterschiedliche Molekülarten verschieden stark ablenkt. Bild: Jochen Küpper/CFEL

Versuchsaufbau in der Vakuumkammer an der LCLS. Im Zentrum ist die Molekül-Sortiermaschine montiert. Bild: Jochen Küpper/CFEL