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DESY News: Neue Schwachstelle von Krankenhauskeim entdeckt
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Neue Schwachstelle von Krankenhauskeim entdeckt
Er gehört zu den widerstandsfähigsten Krankheitserregern der Medizin: Pseudomonas aeruginosa trotzt vielen Antibiotika, bildet schützende Biofilme und überlebt auch unter starkem Stress. Nun hat ein internationales Forschungsteam am Centre for Structural Systems Biology (CSSB) bei DESY eine vielversprechende Schwachstelle gefunden: Gemeinsam mit Forschenden aus England und den USA identifizierten die Fachleute drei Enzyme, die zentrale Funktionen für die Stressresistenz und die Bildung von Biofilmen steuern. Perspektivisch könnten sie als Angriffspunkt für Medikamente fungieren und damit eine neue Therapieoption gegen multiresistente Infektionen schaffen.

Vergleich von P. aeruginosa Wildtyp (links) und Protease-Deletionsstamm (rechts): Auswirkungen auf Zellform, Biofilm und Antibiotikaresistenz. Bild: DESY
Erfolgreicher Knock-out
Das Forschungsteam um Holger Sondermann und María Jesús García-García untersuchte drei Gene, deren Funktion zuvor unbekannt war. „Pseudomonas besitzt etwa 5000 bis 6000 Gene“, erklärt Sondermann. „Doch welche Funktion sie haben, wissen wir allenfalls bei ungefähr zwei Dritteln dieser Gene.” Um Licht ins Dunkel zu bringen, schaltete das Team die untersuchten Gene gezielt aus – und beobachtete deutliche Veränderungen: Mutanten ohne die drei Gene konnten unter osmotischem Stress nicht wachsen, bildeten weniger stabile Biofilme und waren empfindlicher gegenüber gängigen Antibiotika.
Dabei reichte es jedoch nicht aus, lediglich einzelne Gene auszuschalten. Erst beim gleichzeitigen Knock-out aller drei Gene zeigten sich deutliche Effekte auf das Verhalten von Pseudomonas aeruginosa. „Die Enzyme im Bakterium sind redundant”, erklärt García-García. „Sie können sich gegenseitig vertreten, sodass der Verlust eines einzelnen Gens noch keine Auswirkungen hat.”
Außerdem gelang es der Arbeitsgruppe, die 3D-Struktur der neu entdeckten Enzyme mit Hilfe der Röntgenkristallographie zu entschlüsseln. Dabei stießen die Forschenden auf eine verblüffende Parallele: Die Enzyme ähneln in ihrer Struktur der HIV-Protease, einem wichtigen Angriffspunkt für AIDS-Medikamente. „Das war eine Überraschung”, sagt Holger Sondermann. „Wir konnten zeigen, dass Bakterien Enzyme besitzen, die der HIV-Protease strukturell ähneln.” Allerdings unterscheiden sich deren Funktionen: Die HIV-Protease ist ein Enzym, das lange Eiweißketten in funktionsfähige Einzelteile zerschneidet und damit die Vermehrung des HI-Virus ermöglicht. Zwar handelt es sich auch bei den drei neu entdeckten Bakterien-Enzymen um Proteasen – also um Biomoleküle, die andere Proteine spalten. Aber auf welche Moleküle die Pseudomonas-Enzyme einwirken, ist noch unklar.
Doppelte Angriffschance
Für die Medizin könnten die drei Enzyme als vielversprechende Angriffspunkte dienen. Zum einen sollte ihre Ausschaltung Pseudomonas empfindlicher gegenüber Antibiotika machen, gegen die das Bakterium normalerweise resistent ist. Zum anderen würde ein Verlust der Enzyme die Fähigkeit des Erregers beeinträchtigen, stabile Biofilme zu bilden – ein entscheidender Vorteil für mögliche Therapien. „Womöglich brauchen wir keine komplett neuen Antibiotika”, erklärt María Jesús García-García. „Vielleicht würde es schon reichen, die Wirkung vorhandener Antibiotika zu verstärken, indem wir diese Enzyme gezielt hemmen.”
Zuvor aber gilt es noch Fragen zu beantworten: Bisher ist unklar, welche Eiweißmoleküle die neu entdeckten Proteasen im Bakterium spalten. Erste Hinweise deuten darauf hin, dass sie sogenannte Polyglutamat-Sequenzen spalten. Ob solche Polymere tatsächlich in Pseudomonas vorkommen oder erst durch spezielle Stresssituationen entstehen, wird derzeit untersucht. „Unser nächster Schritt ist es, die natürlichen Ziele dieser Enzyme zu identifizieren”, sagt García-García. „Denn das Verständnis der biologischen Funktion ist entscheidend, um mögliche Nebenwirkungen zukünftiger Therapien zu vermeiden”.
Parallel dazu plant das Team, erste Inhibitoren zu testen. Da die Enzyme in wichtigen Krankheitserregern wie Pseudomonas und Legionella vorkommen, aber in nützlichen Darmbakterien eher selten zu finden sind, könnten gezielte Wirkstoffe die schädlichen Bakterien treffen, ohne das Mikrobiom stark zu beeinträchtigen. Trotz der vielversprechenden Ergebnisse bleibt das Team realistisch: „Die Entwicklung von Medikamenten ist ein langer Weg”, betont Holger Sondermann. „Aber wir sind vorsichtig optimistisch, dass diese Enzyme ein interessanter neuer Angriffspunkt sein können – ähnlich wie die HIV-Protease in der AIDS-Therapie”.
Originalveröffentlichung
Justin D. Lormand, Charles H. Savelle, Jennifer K. Teschler, Eva López, Richard H. Little, Jacob G. Malone, Fitnat H. Yildiz, María J. García-García, Holger Sondermann: "Secreted retropepsin-like enzymes are essential for stress tolerance and biofilm formation in Pseudomonas aeruginosa", mBio (2025), DOI:10.1128/mbio.00872-25