DESY News: Forschende kontrollieren die Händigkeit von Molekülen

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27.03.2025
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Forschende kontrollieren die Händigkeit von Molekülen

Experiment ist ein wichtiger Schritt zur Isolierung von rechts- und linkshändigen Molekülen

Einem Team von DESY-Forschenden unter der Leitung von Melanie Schnell, Leitende Wissenschaftlerin bei DESY und Professorin an der Chrstian-Albrechts-Universität Kiel, ist es gelungen, die Erzeugung von links- und rechtshändigen organischen Molekülen auf der Quantenebene mit einer Folge von Mikrowellenpulsen zu kontrollieren - eine langjährige Herausforderung in der Chemie. Das Phänomen der Händigkeit oder „Chiralität“ ist entscheidend für das Verständnis der chemischen Grundlagen des Lebens und für die Entwicklung von Medikamenten. Die Ergebnisse des Experiments werden in der Zeitschrift „Physical Review Letters“ veröffentlicht.

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Das Team hat 3-Fluorbenzylalkohol verwendet, um links- und rechtshändige Versionen des Moleküls mit Mikrowellenpulsen zu steuern. (Grafik: Schnell Lab, DESY)
Viele Arten von Molekülverbindungen, z.B. denen von Biomolekülen wie Zucker und Aminosäuren, kommen in der Natur in zwei Formen vor. Diese Formen - Enantiomere genannt - sind Spiegelbilder zueinander, so wie unsere linke und rechte Hand. Dieses Phänomen wird als Chiralität bezeichnet, und die Moleküle, die diese Eigenschaft aufweisen, heißen chirale Moleküle. Linkshändige und rechtshändige Moleküle, auch als links- und rechtshändige Enantiomere bezeichnet, haben zwar dieselbe atomare Zusammensetzung und sogar dieselben Verknüpfungen über chemische Bindungen, aber sie sehen wie Spiegelbilder zueinander aus. Aufgrund dieser scheinbar geringfügigen Veränderung verhalten sie sich bei Wechselwirkungen mit anderen Enantiomeren unterschiedlich. In vielen Molekülen sind diese Enantiomere sehr stabil, und es sind Bindungsbrüche und die Bildung neuer Bindungen erforderlich, um ein Enantiomer in das andere zu überführen. Einige chirale Moleküle können jedoch aufgrund des Quanten-Tunnel-Effekts schnell zwischen ihren beiden Enantiomeren wechseln, und als Folge davon existieren sie in einem Quantenzustand, in dem sie gleichzeitig links- und rechtshändig sind, ähnlich wie Schrödingers Katze, die gleichzeitig lebendig und tot ist.

All diese Moleküle sind für die Wissenschaftler:innen aufgrund eines Phänomens interessant, das auch als Homochiralität des Lebens in lebenden Organismen bezeichnet wird. Viele lebenswichtige Molekülverbindungen in lebenden Organismen sind je nach ihrer Art überwiegend linkshändig - wie Zucker - oder rechtshändig - wie Aminosäuren, die Grundbausteine von Proteinen. Die Homochiralität des Lebens hat weitreichende Auswirkungen auf Biochemie und Medizin. So sind beispielsweise viele Moleküle, die in einer Händigkeit als Medikamente verwendet werden, unwirksam oder sogar schädlich in der anderen Händigkeit. Warum manche Molekülverbindungen nur in der einen Händigkeit vorkommen und nicht in der anderen ist ein großes Rätsel, und es ist bisher noch unbekannt, woher diese Asymmetrie in Form der Homochiralität des Lebens kommt. Wissenschaftler:innen hoffen, dass die Untersuchung der Art und Weise, wie Chiralität mit Hilfe elektromagnetischer Wellen erzeugt werden kann, Aufschluss über den Ursprung dieser Asymmetrie geben kann.

Für ihre Studie verwendete das Team eine Verbindung namens 3-Fluorbenzylalkohol, die in einer Quantenmischung aus zwei Enantiomeren vorliegt. Das Team regte die Moleküle dieser Substanz mit einer Kombination maßgeschneiderter Mikrowellenpulse an und schaffte es, das zeitliche Verhalten der Moleküle so zu steuern, dass alle Moleküle plötzlich linkshändig waren, bevor sie in die andere Form übergingen und dann wieder zurück, wie eine springende Feder.

„Wenn sich jedes Molekül wie eine Feder verhält, dann haben wir viele Federn, die zufällig springen“, sagt Wenhao Sun, Wissenschaftler in Schnells Gruppe und Erstautor der Veröffentlichung. „Was wir tun, ist, diese Schwingungen zwischen den beiden Enantiomeren kohärent zu machen, und wir lassen sie in eine Richtung schwingen, alle zusammen - so wissen wir, dass die Links- und Rechtshändigkeit des jeweiligen Moleküls nicht zufällig ist.“

Indem das Team den Zeitpunkt, zu dem die Moleküle von einer Form in die andere wechseln, in einem Ensemble kontrollierte, zeigte es, dass es mit seinem fortschrittlichen, auf Mikrowellenpulsen basierenden Kontrollschema die Händigkeit direkt steuern konnte. Dadurch werden die beiden Formen des Moleküls zwar nicht räumlich isoliert, aber die Verbindungen folgen alle der gleichen Form in einem ausgeprägten, wellenförmigen Muster.

„Dies ist ein wichtiger Schritt, um herauszufinden, wie man ein Molekül dazu bringen kann, stabil die eine oder die andere Form der Händigkeit anzunehmen“, sagt Sun. „Das nächste Ziel ist es, die Oszillationen kontrolliert zu stoppen, so dass wir die eine oder die andere Form haben. Die Fähigkeit, die Händigkeit dieser chiralen Moleküle zu kontrollieren, ist von großer Bedeutung für weitere Experimente, die darauf abzielen, die chiralen Verbindungen ohne chirale Reagenzien oder Katalysatoren, sondern nur mit Hilfe von Licht herzustellen und so das seit langem angestrebte Ziel der absoluten asymmetrischen Synthese zu erreichen. Wir werden unsere kontrollierten Moleküle als Ausgangspunkte für hochpräzise Spektroskopieexperimente verwenden, die darauf abzielen, weitere Unterschiede zwischen den Enantiomeren aufzudecken.“

Originalveröffentlichung

W Sun, DS Tiknonov, M Schnell, Direct observation of time-dependent coherent chiral tunneling dynamics, Physical Review Letters (2025), DOI:10.1103/PhysRevLett.134.123403