DESY News: Heißes Eisenoxid bremst Erdbebenwellen

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13.07.2023
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Heißes Eisenoxid bremst Erdbebenwellen

Hochdruck-Experiment liefert neue Einblicke ins Innere unseres Planeten

Ein ausgeklügeltes Hochdruckexperiment liefert neue Einblicke in den unteren Erdmantel: An DESYs Röntgenlichtquelle PETRA III hat ein internationales Forschungsteam die Bedingungen im Erdinneren nachgestellt und dabei das zweithäufigste Mineral des unteren Erdmantels untersucht, Ferroperiklas. Die Ergebnisse sind wichtig für die Interpretation von Erdbebenwellen – und könnten künftig einmal eine Temperaturmessung im unteren Erdmantel erlauben, wie die Forscherinnen und Forscher um Hauke Marquardt von der Universität Oxford im Fachblatt „Earth and Planetary Science Letters“ berichten.

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3D-Modell der Erde mit Temperaturvariationen: Dunkel ist kaltes, absinkendes Material bei etwa 1000 Grad Celsius und hell ist heißes, aufsteigendes Material mit bis zu 3000 Grad. Die blaue Oberfläche zeigt, wo die Hälfte des Eisens im Ferroperiklas den Spin-Crossover durchgemacht hat - und wo also die stärksten Auswirkungen auf die physikalischen Eigenschaften zu erwarten sind - und macht damit die starke Temperatur-abhängigkeit des Spin Crossovers deutlich. Bild: University of Oxford, Paula Koelemeijer/GPlates
Ferroperiklas ist ein Magnesium-Eisen-Oxid. Gerät es unter hohen Druck, kommt es zu einem ungewöhnlichen Phänomen: Ferroperiklas wird vorübergehend weicher, die Fachwelt spricht von kompressibler. Das hat direkten Einfluss auf die Geschwindigkeit von Erdbebenwellen, die von dem weicheren Mineral ausgebremst werden. Die Ursache für dieses Verhalten von Ferroperiklas liegt auf der atomaren Ebene. Die Elektronen des Eisens organisieren sich neu und finden sich zu Paaren zusammen, in denen beide Elektronen einen gegensätzlichen Spin haben – das heißt, sie „drehen“ sich in entgegengesetzte Richtungen. Durch diese Neuverteilung der Elektronen, den sogenannten Spin-Crossover, schrumpft der Durchmesser der Eisenatome.

Den Einfluss des Spin-Crossovers auf die Kompressibilität von Ferroperiklas, und damit auf die Erdbebenwellengeschwindigkeit, hat das Team erstmals bei hohen Temperaturen gemessen, die denen im Erdmantel nahekommen. Dazu verwendeten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler eine beheizbare Hochdruckzelle. „Der Spin-Crossover hängt sehr stark von der Temperatur ab“, sagt Hauptautorin Viktoria Trautner von der Universität Oxford. In der Hochdruckzelle erhitzte das Team Ferroperiklas auf knapp 1200 Grad Celsius. An der Extreme Conditions Beamline P02.2, einer der Messstationen für Extremzustände an PETRA III, durchleuchteten die Forscherinnen und Forscher die Probe mit Röntgenstrahlung und konnten so ihre Kompressibilität messen.

„Bei Raumtemperatur setzt der Spin-Crossover bereits etwa mit dem 400 000fachen Atmosphärendruck ein“, berichtet Forschungsleiter Marquardt. „Bei 1000 Grad beginnt er dagegen erst mit dem rund 500 000fachen Atmosphärendruck.“ Mit einem neu entwickelten Rechenmodell konnte das Team die Messergebnisse auf die Temperaturen im Erdmantel extrapolieren, die mit der Tiefe zunehmen und mehr als 3000 Grad Celsius erreichen.

Mit 3D-Modellierungen des Erdinneren simulierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler den Einfluss des Spin-Crossovers auf das Verhalten von Erdbebenwellen, die auch seismische Wellen genannt werden, und verglichen dies mit seismischen Messungen. Die ersten Analysen stützen die Annahme, dass Ferroperiklas etwa 20 Prozent des unteren Erdmantels ausmacht. „Der untere Erdmantel reicht von 660 Kilometer bis ungefähr 2900 Kilometer Tiefe“, sagt Ko-Autor Hanns-Peter Liermann, Leiter der Messstation P02.2 bei PETRA III. „Es gibt keinen Weg, ihn direkt zu erforschen. Untersuchungen wie unsere sind die einzige Möglichkeit, etwas über seine Eigenschaften zu erfahren.“

Über das Verhalten von Erdbebenwellen lässt sich die Struktur und die Zusammensetzung des Erdmantels untersuchen, welche großen Einfluss auf die physikalischen Eigenschaften und die Dynamik des Erdinneren haben. Mit einer genaueren Modellierung des unteren Erdmantels lassen sich wiederum Erdbebenwellen besser interpretieren, erläutern die Forscherinnen und Forscher. „Und vielleicht lässt sich dann über das Verhalten von Erdbebenwellen unter Einfluss des Spin-Crossovers künftig sogar einmal die Temperatur in bestimmten Tiefen messen“, sagt Trautner. Dafür seien allerdings detailliertere seismische Messungen und Modelle nötig als heute verfügbar.

 

Originalveröffentlichung:
Compressibility of ferropericlase at high-temperature: Evidence for the iron spin crossover in seismic tomography; Viktoria E. Trautner, Stephen Stackhouse, Alice R. Turner, Paula Koelemeijer, D. Rhodri Davies, Alba San José Méndez, Niccolo Satta, Alexander Kurnosov, Hanns-Peter Liermann, Hauke Marquardt; „Earth and Planetary Science Letters“, 2023; DOI: 10.1016/j.epsl.2023.118296