DESY News: Mit Röntgenstrahlen flüssige Spiegelmoleküle identifizieren

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23.05.2022
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Mit Röntgenstrahlen flüssige Spiegelmoleküle identifizieren

Innovative Methode für Forschung, Biochemie und Pharmazie

Zucker, Aminosäuren, Medikamente – chirale Moleküle, die in zwei spiegelbildlichen Formen vorkommen, gibt es überall. Forscherinnen und Forscher des AQUACHIRAL-Projekts am Fritz-Haber-Institut (FHI) in Berlin haben mit DESYs Röntgenlichtquelle PETRA III haarfeine Flüssigkeitsstrahlen dieser Moleküle durchleuchtet. Mit einer neuen Methode können sie nun erstmals deren Bestandteile in flüssiger Form voneinander unterscheiden – und zwar so gut wie nie zuvor. Das Team stellt sein Verfahren im Fachblatt „Physical Chemistry Chemical Physics“ vor.

Mit links- oder rechtsdrehendem Röntgenlicht lassen sich die spiegelbildlichen Formen chiraler Moleküle auch in der flüssigen Phase identifizieren. Bild: Universität Kyoto, Stephan Thürmer Linkhttps://www.fhi.mpg.de/news-science/roentgenstrahlen-identifizieren-fluessige-chirale-molekuele
Chirale Moleküle sind in der Natur sehr häufig. Zucker zum Beispiel besteht aus chiralen Molekülen, ebenso wie viele Aminosäuren, auch unser Körper ist aus diesen Bausteinen aufgebaut. Chiralität bedeutet, dass solche Moleküle in zwei Formen vorkommen, deren geometrische Strukturen sich wie Bild und Spiegelbild verhalten. Sie haben die gleiche Masse und die gleichen Bestandteile, sind aber nicht identisch. Spiegelt man die eine Form, so passt sie genau auf die andere, einfach aufeinandergelegt passen die beiden Formen jedoch nicht. Vorbild ist die Spiegelsymmetrie der rechten und der linken Hand, der Name des Phänomens stammt vom altgriechischen Wort „Cheir“ für Hand. Chiralität wird auch als Händigkeit bezeichnet.

Die spiegelbildlichen Formen einer chemischen Verbindung können sehr unterschiedliche Eigenschaften haben. Man nehme zum Beispiel das chirale Molekül Carvon: Eine Form riecht nach Minze, die andere nach Kümmel. Die Chiralität ist besonders in der Herstellung von Arzneimitteln wichtig, da immerhin sieben der zehn häufigsten Medikamente chirale Moleküle enthalten. In der Regel hat jedoch nur eine der beiden Formen die gewünschte Wirksamkeit, während die andere nur unnötigen Ballast darstellt und die Wirksamkeit des Medikaments beeinträchtigt. Um effiziente und sichere Arzneimittel herzustellen, ist es wichtig, die richtige Form zu identifizieren und zu verwenden.

Aufgrund ihrer Ähnlichkeit ist es jedoch nicht einfach, die beiden Formen zu unterscheiden. Für biologische Prozesse ist vor allem die Unterscheidung von chiralen Molekülen in einer wässrigen Umgebung wichtig, weil die Wechselwirkung mit der Umgebung die Moleküle auch chemisch verändern kann. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des AQUACHIRAL-Projekts haben nun erstmals einen Weg gefunden, eine besonders detaillierte Unterscheidung von Molekülen in der Flüssigphase mittels Röntgenstrahlung zu ermöglichen. Dafür untersuchten sie flüssiges Fenchon, das in Fenchelöl und vielen anderen ätherischen Ölen vorkommt, und durchleuchteten es in Form eines haarfeinen Strahls an der Messstation P04 von DESYs Röntgenquelle PETRA III. „Diese Röntgenstrahlen haben sehr energetische Photonen,“ erklärt Bernd Winter vom FHI, der das vom Europäischen Forschungsrat ERC geförderte AQUACHIRAL-Projekt leitet. „Wenn diese Photonen auf den Flüssigkeitsstrahl treffen, werden Elektronen erzeugt. An denen können wir dann messen, welche Form des Moleküls in dem Strahl enthalten ist.

Neu an dieser Methode ist die Art der Strahlung. Die passt sich nämlich den ‚Händigkeiten‘ der chiralen Moleküle an, also den unterschiedlichen Formen. Diese kann man am besten identifizieren, wenn man zirkulare Röntgenstrahlung benutzt, die ebenfalls ‚händig‘ ist. „Es gibt gewissermaßen links- und rechts-drehende Moleküle,“ sagt Uwe Hergenhahn vom FHI. „Und die bestrahlen wir dann mit Röntgenlicht, das sich ebenfalls rechts oder links herum dreht, wie eine Schraube.“ Aus den Flugwinkeln der Elektronen, die sich so bilden, kann man die Händigkeit des Moleküls ableiten. „Diese Art des zirkularen Röntgenlichts, die unter anderem auf Louis Pasteur zurückgeht, war schon länger bekannt. Doch PETRA III schafft noch stärkere Strahlung mit viel genaueren Ergebnissen als je zuvor“, erklärt Florian Trinter, der am FHI und bei DESY arbeitet.

Diese Methode ist ein wichtiger Schritt für bessere Analysen biologischer und organischer chiraler Moleküle, die in der Zukunft auch für sicherere Ergebnisse in der Biochemie und Pharmazie sorgen können. Nachdem es möglich geworden ist, diese Experimente an Flüssigkeiten durchzuführen, möchten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des AQUACHIRAL-Projekts als nächsten Schritt Moleküle in der Umgebung untersuchen, in der sie in lebenden Organismen vorkommen, insbesondere in Wasser.

An der Arbeit sind das Fritz-Haber-Institut der Max-Planck-Gesellschaft, die Universität von Kalifornien in Berkeley, das Lawrence Berkeley National Laboratory, die Goethe-Universität in Frankfurt am Main, das Helmholtz-Zentrum Berlin, die Universität Kyoto, das Synchrotron Soleil in Frankreich, die Universität von Nottingham und DESY beteiligt.



Originalveröffentlichung:
Photoelectron circular dichroism in angle-resolved photoemission from liquid fenchone;  Marvin N. Pohl, Sebastian Malerz, Florian Trinter, Chin Lee, Claudia Kolbeck, Iain Wilkinson, Stephan Thürmer, Daniel M. Neumark, Laurent Nahon, Ivan Powis, Gerard Meijer, Bernd Winter und Uwe Hergenhahn; „Physical Chemistry Chemical Physics“, 2022; DOI: 10.1039/d1cp05748k



Quelle: Pressemitteilung des Fritz-Haber-Instituts