DESY News: Rekord-Zeitauflösung bei Röntgenlasern erreicht

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11.04.2022
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Rekord-Zeitauflösung bei Röntgenlasern erreicht

Forschungsteam demonstriert bisher beste an Freie-Elektronen-Röntgenlasern gemessene Pump-Probe-Zeitauflösung

Nach Bestrahlung mit Licht reagieren Atome in Materialien innerhalb von Femtosekunden, also billiardstel Teilen einer Sekunde. Um diese Reaktionen in Echtzeit beobachten zu können, muss der Versuchsaufbau, mit dem sie erfasst werden, ebenfalls mit einer Zeitauflösung von Femtosekunden operieren, da die Bilder sonst „unscharf“ werden. In einem Grundlagenexperiment am European XFEL hat ein Forschungsteam eine Rekord-Zeitauflösung von etwa 15 Femtosekunden nachgewiesen – die beste Auflösung, die bisher in einem sogenannten Pump-Probe-Experiment an einem Freie-Elektronen-Röntgenlaser bei gleichzeitig hoher spektraler Auflösung erreicht wurde.

„Die Ergebnisse eröffnen die Möglichkeit, zeitaufgelöste Experimente mit noch nie dagewesener Zeitauflösung durchzuführen und damit ultraschnelle Prozesse in Materialien zu beobachten, die bisher nicht zugänglich waren“, erklärt Daniel Rivas von European XFEL, Initiator des Experiments und Erstautor der Veröffentlichung in der Fachzeitschrift Optica, in der das Team von European XFEL und DESY seine Ergebnisse vorstellt.

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Ein ultrakurzer Röntgenpuls und ein optischer Laserpuls wechselwirken gleichzeitig mit einem Neonatom. Der Röntgenpuls entfernt ein Elektron aus der inneren Elektronenhülle. Aufgrund des elektromagnetischen Felds des optischen Lasers, das im Moment der Ionisierung vorhanden ist, wird das austretende Elektron in seiner Energie moduliert. Copyright: illustratoren.de/TobiasWuestefeld in cooperation with European XFEL
Eines der Ziele der Experimente am European XFEL ist die Aufnahme von molekularen Filmen, d.h. Reihen von Momentaufnahmen dynamischer Prozesse, die in extrem schneller Abfolge aufgenommen werden und die Details von chemischen Reaktionen oder physikalischen Veränderungen in Materialien mit hoher Zeitauflösung sichtbar machen. Die Umstrukturierung der Moleküle während solcher Reaktionen zu verstehen, ist ein wesentlicher Schritt hin zur Kontrolle von Prozessen in unserer Umwelt, wie z.B. von Strahlenschäden in biologischen Systemen oder von photochemischen und katalytischen Reaktionen. Eine Technik zur Erzeugung solcher Filme ist die Pump-Probe-Spektroskopie, bei der ein optischer Laserpuls (der „Pump“-Puls) einen bestimmten Prozess in einer Probe anregt und die Röntgenlaserpulse (die „Probe“-Pulse) dazu verwendet werden, eine Reihe von Schnappschüssen aufzunehmen, die zeigen, wie sich der Prozess im Laufe der Zeit entwickelt.

Die Zeitauflösung einer Pump-Probe-Messung wird durch die Dauer des Laserpulses, die Dauer des Röntgenpulses und die Synchronisierung der beiden miteinander bestimmt. „Die Synchronisierung ist eine besondere Herausforderung“, betont Rivas. „Wenn wir die erforderliche zeitliche Synchronisierung in Entfernungen umrechnen, kommen wir auf eine erforderliche Genauigkeit von nur wenigen Mikrometern entlang einer 3,4 Kilometer langen Anlage! Das ist eine gewaltige Herausforderung, denn mechanische Vibrationen und veränderte Umgebungsbedingungen können den Weg des Lasers, der beschleunigten Elektronen oder der Röntgenphotonen bereits erheblich verändern.“ Diese Schwankungen führen zu einer Unsicherheit in der Ankunftszeit der Pulse im Experiment, „Timing-Jitter“ genannt, der den molekularen Film des untersuchten Prozesses unscharf werden lässt.

Zur Demonstration der Zeitauflösung nutzte das Team eine Kombination aus mehreren technischen Fortschritten, die bei European XFEL und DESY gemacht wurden, darunter ein speziell entwickeltes optisches Lasersystem mit ultrakurzen Pulsen, das anlagenweite optische Synchronisierungssystem und eine auf eine Pulsdauer von 10 Femtosekunden abgestimmte Röntgenemission. Als letzte Schlüsselkomponente erkannte das Team, dass der verbleibende Timing-Jitter hauptsächlich von Fluktuationen im Beschleunigungsprozess der Elektronen vor der Erzeugung der Röntgenpulse herrührt. Dank neuer Elektronenankunftszeit-Monitore konnten die Forschenden diese Fluktuationen auf nicht-invasive Weise messen und die molekularen Filme anschließend entsprechend korrigieren.
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Relative kinetische Energie der Elektronen in Abhängigkeit der Verzögerung („delay“) zwischen dem Röntgenpuls und dem optischen Laserpuls. Wenn beide Pulse überlappen (delay = 0 fs), zeigt die Energie der Elektronen die höchste Modulation. Dieses Zeitfenster mit maximaler Überlappung hat eine Dauer von nur 16 ± 2 fs (FWHM), was der Zeitauflösung des Experiments entspricht. Copyright: illustratoren.de/TobiasWuestefeld in cooperation with European XFEL


Das Experiment an der SQS-Experimentierstation (Small Quantum Systems) am European XFEL bestand darin, die „Dauer“ eines Effekts zu messen, der unmittelbar auftritt, wenn ein Atom in Gegenwart eines optischen Lasers durch Röntgenstrahlen ionisiert wird. Nur wenn der optische Laserpuls und der Röntgenpuls zeitlich überlappen, werden die emittierten Röntgenphotoelektronen in ihrer Energie moduliert, wie in der Abbildung gezeigt. Aus der Messung, wie lange beide Pulse vollständig überlappen, hat das Team insgesamt eine Zeitauflösung von nur 16 ± 2 Femtosekunden für diesen Vier-Photonen-Prozess ermittelt – ein Bestwert an Freie-Elektronen-Röntgenlasern.


„Wichtig ist, dass die für diese Experimente benötigten Systeme nicht-invasiv sind, im Gegensatz zu anderen Mess- und Sortieransätzen, die nur unter sehr spezifischen Röntgenlaserbedingungen funktionieren“, erklärt der Leiter der SQS-Experimentierstation Michael Meyer, der das Experiment betreut hat. „Mit diesem neuartigen Ansatz werden wir unseren Nutzern diese großartigen Möglichkeiten bei gleichzeitig voller Flexibilität der Röntgenlaser- und Laserparameter anbieten können.“

Wissenschaftliche Veröffentlichung:

Daniel E. Rivas et al.: “High-temporal-resolution X-ray spectroscopy with free-electron and optical lasers”, Optica 9, 429–433 (2022)

doi:10.1364/optica.454920