DESY News: Rätselhafte Geschwindigkeitsänderung von Erdbebenwellen entschlüsselt

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17.01.2022
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Rätselhafte Geschwindigkeitsänderung von Erdbebenwellen entschlüsselt

Röntgenexperimente zeigen Verlauf von Mineral-Transformationen im Erdinneren

In einer Tiefe von 660 Kilometern unter der Erdoberfläche kommt es zu einem abrupten Wechsel der Geschwindigkeit, mit der sich seismische Wellen im Inneren unseres Planeten ausbreiten. Diese auffällige seismische Diskontinuität teilt sich jedoch unterhalb sogenannter kalter Subduktionszonen, wo die ozeanische Kruste in den Erdmantel unter die kontinentale Kruste sinkt, aus bislang ungeklärten Gründen in zwei Zonen auf. Ein Forschungsteam unter Leitung des Bayerischen Geoinstitut (BGI) an der Universität Bayreuth hat durch Hochdruck-Experimente an DESYs Röntgenlichtquelle PETRA III und an der japanischen Röntgenquelle SPring-8 eine Erklärung für dieses rätselhafte Phänomen gefunden: die Umwandlung des Minerals Akimotoit in Bridgmanit. Im Fachblatt „Nature“ stellt das Team um Hauptautor Artem Chanyshev von DESY und der Universität Bayreuth seine Ergebnisse vor.

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Die 4,5 Meter hohe und 35 Tonnen schwere Riesenstempelzelle kann auf jeder ihrer drei Achsen einen Druck von 500 Tonnen ausüben, das entspricht dem 300 000-fachen atmosphärischen Druck oder den Druckverhältnissen 900 Kilometer tief unter dem Erdboden. Dabei lassen sich die Proben mit dem hellen Röntgenlicht von PETRA III durchleuchten und geben so ihre innere Struktur preis. Bild: DESY, Dirk Nölle
Die seismische Diskontinuität in einer Tiefe von 660 Kilometern ist eine der auffälligsten Strukturgrenzen im Erdmantel. In dieser Übergangszone vom oberen zum unteren Erdmantel zerfällt das Mineral Ringwoodit, das sich aus Magnesium, Eisen, Silizium und Sauerstoff zusammensetzt, in die Minerale Bridgmanit und Ferroperiklas. Infolgedessen können sich seismische Wellen schneller fortpflanzen. Unter kalten Subduktionszonen teilt sich diese seismische Diskontinuität jedoch in zwei Regionen, eine im Bereich von 660 bis 670 Kilometern und eine im Bereich von 740 bis 750 Kilometern. Untersuchungen bei den im Erdinneren herrschenden Drücken und Temperaturen zeigen eindeutig: Der Zerfall von Ringwoodit in Bridgmanit und Ferroperiklas kann für dieses Diskontinuitäten-Muster nicht verantwortlich sein. Denn er ist weitgehend unabhängig von Temperaturänderungen und findet stets unter einem Druck statt, wie er in einer Tiefe von rund 660 Kilometern herrscht.

Einer Erklärung sind die Forscherinnen und Forscher nun auf die Spur gekommen, als sie den Phasenübergang des Minerals Akimotoit zu Bridgmanit unter Bedingungen des Erdinneren bei DESY untersucht haben. Akimotoit ist ein Mineral, das hauptsächlich in den kühleren Bereichen der Übergangszone zum unteren Erdmantel vorkommt. „Wir haben Mineralproben in unserer Riesenstempelzelle zusammengepresst und erhitzt und dabei mit dem hellen Röntgenlicht von PETRA III durchleuchtet“, erläutert Ko-Autor Robert Farla, Leiter des Messstation P61B, an der die Experimente stattfanden. „Auf diese Weise lassen sich Strukturänderungen in den Mineralen unter Bedingungen des Erdmantels verfolgen.“

Die Experimente führten zu einem überraschenden Ergebnis: Der Phasenübergang von Akimotoit zu Bridgmanit weist eine steile negative Clapeyron-Kurve auf. Dies bedeutet: Je tiefer die Temperatur ist, desto höher muss der Kompressionsdruck sein, damit es zu einem Phasenübergang – nämlich zur Umwandlung in Bridgmanit – kommt. Der höhere Druck ist aber erst in einer größeren Tiefe gegeben. Bereits ein vergleichsweise geringes Absinken der Temperatur führt also dazu, dass sich der Phasenübergang von Akimotoit zu Bridgmanit deutlich tiefer ins Erdinnere verlagert.

Dieser Befund bietet nun die Möglichkeit, gleich zwei ungeklärte geowissenschaftliche Rätsel zu lösen: „Die sehr auffällige seismische Diskontinuität in einer Tiefe von 740 bis 750 Kilometern unterhalb kalter Subduktionszonen kann auf der Grundlage unserer Experimente plausibel durch den Phasenübergang von Akimotoit zu Bridgmanit erklärt werden“, erläutert Chanyshev. Die zweite Diskontinuität, die in 660 bis 670 Kilometern unterhalb kalter Subduktionszonen auftritt, wird demnach durch den Zerfall von Ringwoodit in Akimotoit und Ferroperiklas verursacht. „Diese beiden Übergänge können dazu führen, dass sich die Ausbreitungsgeschwindigkeit seismischer Wellen abrupt ändert“, betont Chanyshev.

An der Arbeit waren Forscherinnen und Forscher des BGI, des Center for High Pressure Science and Technology Advanced Research in Peking und der Jilin Universität in Changchun (China), des Japan Synchrotron Radiation Research Institute und der Tohoku Universität in Sendai (Japan) sowie von DESY beteiligt.

 

Originalarbeit:
Depressed 660-km discontinuity caused by akimotoite–bridgmanite transition; Artem Chanyshev, Takayuki Ishii, Dmitry Bondar, Shrikant Bhat, Eun Jeong Kim, Robert Farla, Keisuke Nishida, Zhaodong Liu, Lin Wang, Ayano Nakajima, Bingmin Yan, Hu Tang, Zhen Chen, Yuji Higo, Yoshinori Tange & Tomoo Katsura; „Nature“, 2022, DOI: 10.1038/s41586-021-04157-z

Quelle: Universität Bayreuth