DESY News: Beate Heinemann wird neue Direktorin für Teilchenphysik bei DESY

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07.12.2021
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Beate Heinemann wird neue Direktorin für Teilchenphysik bei DESY

Physikprofessorin komplettiert das Direktorium des Forschungszentrums

Beate Heinemann, Leitende Wissenschaftlerin bei DESY und Professorin für Physik an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, übernimmt am 1. Februar als Direktorin den Forschungsbereich Hochenergiephysik bei DESY. Das hat DESYs Aufsichtsgremium, der Stiftungsrat, in seiner Sitzung am 7. Dezember einstimmig beschlossen. Heinemann ist die erste Frau im Direktorium seit DESYs Gründung im Jahr 1959.

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Die erste Frau im DESY-Direktorium: Beate Heinemann. Bild: DESY, Angela Pfeiffer
„Sie ist eine Bereicherung für das Forschungszentrum“, sagt der Vorsitzende des Stiftungsrats, Dr. Volkmar Dietz vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. „Mit ihrer internationalen Erfahrung, ihrem breiten Wissen, ihrem Renommee und ihren zukunftsweisenden Ideen wird sie den Forschungsbereich Teilchenphysik sicher in die nächste spannende Ära führen. Als erste Frau im Direktorium wird sie außerdem DESY-Geschichte schreiben!"

Beate Heinemann ist eine waschechte „Hamburger Deern“, die sogar ganz in der Nähe von DESY im Hamburger Westen aufgewachsen ist. Ihre Sporen hat sie sich aber in Teilchenphysik-Experimenten und an Universitäten und Forschungszentren auf der ganzen Welt verdient. Für ihre Promotion an der Universität Hamburg hatte Heinemann am H1-Experiment an DESYs Beschleuniger HERA gearbeitet. Danach war sie zunächst als Wissenschaftlerin der Universität Liverpool am US-amerikanischen Teilchenphysiklabor Fermilab tätig, bevor sie Professorin an der Universität von Kalifornien in Berkeley wurde. Dort begann sie, am ATLAS-Experiment zu forschen, einem riesigen Teilchendetektor am Forschungszentrum CERN in Genf. Von 2013 bis 2017 war sie stellvertretende ATLAS-Sprecherin. Danach kam sie zurück nach Deutschland, um als Leitende Wissenschaftlerin bei DESY und Professorin an der Universität Freiburg ihre Forschung an ATLAS fortzusetzen.

„Ich freue mich sehr, dass Beate Heinemann künftig Teil des DESY-Direktoriums sein wird“, sagt DESY-Direktor Helmut Dosch. „Ihre ausgezeichnete Fachexpertise in Teilchenphysik und Erfahrung im Management großer, internationaler Teams sind die perfekte Ergänzung für die vielen Facetten der Grundlagenforschung bei DESY und in der Helmholtz-Gemeinschaft. Wir sind stolz, sie im Team begrüßen zu dürfen, und freuen uns sehr darauf, mit ihr die Zukunft zu gestalten.“

Heinemann folgt auf Joachim Mnich, der zum Jahresbeginn 2021 als Forschungsdirektor zum CERN gewechselt war, und Ties Behnke, der den DESY-Forschungsbereich Hochenergiephysik als Interimsdirektor geleitet hat. Zum Bereich Hochenergiephysik gehören bei DESY nicht nur die Teilchenphysiker:innen und Techniker:innen, die an den internationalen Experimenten beteiligt sind, sondern auch die Theorie, die DESY-IT-Abteilung, die Bibliothek und viele Servicegruppen wie die Elektronikentwicklung.

„DESY ist ein Labor auf Weltklasse-Niveau und ich freue mich sehr, seine Gegenwart und Zukunft mitgestalten zu können“, sagt Heinemann. „Es gibt viele Themen und Projekte, die mir sehr am Herzen liegen – von der Grundlagenforschung über Entwicklungen von Zukunftstechnologien bis zu Nachhaltigkeit und Diversität. Das nächste Jahrzehnt bietet viele spannende Herausforderungen, sowohl wissenschaftlich als auch gesellschaftlich, und ich möchte mitwirken, dass DESY entscheidende Beiträge liefert.“

 

Und das sagt Beate Heinemann im Interview zu ihren Plänen und Ideen: 

Welche Veränderungen und Schwerpunkte für die Teilchenphysik und das Computing haben Sie für Ihre Amtszeit geplant?

Als Direktorin ist man ja nicht nur für den eigenen Bereich zuständig, sondern für ganz DESY. Mir liegt DESY insgesamt am Herzen. Zunächst einmal halte ich es für sehr wichtig, dass DESY seine Vorreiterrolle als Zentrum für Grundlagenforschung im Bereich Erforschung der Materie behält und weiter ausbaut. 

Wir wissen ja, dass große, revolutionäre Entwicklungen und Veränderungen oft aus der Grundlagenforschung gekommen sind. Deswegen denke ich, dass die Grundlagenforschung auch weiterhin die Basis für Forschung bei DESY bleiben sollte – aber wir haben auch in anwendungsorientierten Bereichen Handlungs- und Forschungsaufträge, zum Beispiel zum Thema Klima, Digitalisierung oder Gesundheit. Hier kann DESY wieder aus allen Bereichen etwas beitragen, etwa durch neuartige Beschleunigertechnologien, neue Methoden in der Detektorentwicklung oder neue Anlagen für die Forschung mit Photonen. Und wir müssen auch auf dem Campus Nachhaltigkeit priorisieren. 

Ein weiteres Thema, das mir sowohl persönlich als auch durch mein neues Amt sehr am Herzen liegt, ist die Diversität. DESY soll ein weltoffenes, diverses Labor bleiben, und es ist in vielen Bereichen auch noch Luft nach oben – zum Beispiel dem Anteil von Frauen in Führungspositionen.

Und was wird es Neues in Ihrem Forschungsbereich geben?

Ich habe natürlich auch Ideen für die Teilchenphysik. Bei DESY steht sie auf mehreren sehr soliden Beinen: Wir beteiligen uns an internationalen Experimenten, haben unsere eigenen, sehr spannenden Experimente auf dem Hof, haben eine starke Theoriegruppe und sind Vorreiter in der digitalen Transformation mit unserem Computing. Wir sind durch unsere Spitzenforschung auch sehr attraktiv für junge Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die aus Ländern der ganzen Welt zu uns kommen, um bei uns ihre Doktorarbeit zu machen, als Postdoc zu forschen oder eine leitende Stelle zu übernehmen. Wir müssen uns ständig weiterentwickeln, um weiterhin die internationale Spitzenstellung zu halten, und die Strategie für das nächste Jahrzehnt überarbeiten. 

Zum Beispiel bauen wir in der Detector Assembly Facility hier bei DESY mehrere zentrale Komponenten für das Upgrade der Detektoren am weltweit größten Teilchenbeschleuniger LHC beim CERN in Genf. DESY hat eine große Verantwortung übernommen – da müssen wir liefern!

Wir können aber auch stolz sein auf die spannenden Experimente, die wir selbst hier bei DESY in internationaler Zusammenarbeit betreiben. Nächstes Jahr läuft zum Beispiel das Experiment ALPS II an, das nach Dunkler Materie in Form von scheuen kleinen Teilchen namens Axionen sucht. Diese Axionen spielen auch bei mehreren anderen Experimenten eine Rolle, die auf DESYs Wunsch- und Planungsliste stehen. Wenn sie alle kämen, wofür ich mich natürlich einsetzen werde, wäre DESY weltweit konkurrenzlos im sehr dynamischen Gebiet der Axion-Forschung. Eine große Rolle spielt hier die hervorragende Infrastruktur, die wir bei DESY als nationales Forschungslabor für Teilchenphysik haben.

Auf unsere Theorie können wir ebenfalls sehr stolz sein. Sie hat mir Recht einen weltweit hervorragenden Ruf, der nicht zuletzt darauf basiert, dass wir mit unseren Expertinnen und Experten mehr als 60 physikalische Größenordnungen abdecken – von den kleinsten Dimensionen der Stringtheorie bis zu den größten der Kosmologie. Mit dem Wolfgang-Pauli-Centre der Uni Hamburg und DESY wird die Theorie hier dann noch breiter und multidisziplinärer aufgestellt sein. 

In den nächsten Jahren werden die Weichen gestellt für das Nachfolgeprojekt des LHC, also den nächsten großen Teilchenbeschleuniger, dessen Technologie und Standort noch nicht feststehen. Es ist mir sehr wichtig, dass DESY hier auch aktiv in der Vorbereitung des Projekts mit dabei ist, um seine Vorreiterrolle zu halten und auszubauen.

Das sind einige meiner Ideen, aber das ist natürlich noch lange nicht alles. Ich finde es sehr wichtig, neuen Ideen gegenüber offen zu sein. Wir haben hier sehr viele schlaue und kreative Leute, bei denen man nie weiß, mit welchem spektakulären Vorschlag sie als nächstes um die Ecke kommen werden.  

DESY beiseite – was liegt Ihnen persönlich am Herzen?

Mir ist vor allem Nachhaltigkeit sehr wichtig. Unsere Generation ist jetzt in der Verantwortung; wir müssen jetzt handeln und Klima bei allem mitdenken, sowohl in der Forschung als auch in der Entwicklung des DESY-Campus und der Science City Bahrenfeld. 

Auch die Grundlagenforschung liegt mir sehr am Herzen, denn sie ist nicht nur immens interessant, sondern kann auch Innovation vorantreiben. Ein hervorragendes Beispiel ist der mRNA-Impfstoff gegen Covid-19, der auf 20 Jahren Grundlagenforschung beruht, oder Beschleuniger, die vor 100 Jahren in der Teilchenphysik entwickelt wurden und heute zur Tumorbehandlung weltweit eingesetzt werden. 

Aber ich bin auch heute noch vor allem davon getrieben herauszufinden, wie die Natur funktioniert und welche Naturgesetze dem zugrunde liegen. Wir sind in der Teilchenphysik jetzt meiner Meinung nach in der spannendsten Zeit, seit am Anfang des 20. Jahrhunderts die Struktur des Atoms entdeckt und dann verstanden wurde. Innerhalb von etwa 40 Jahren wurde damals die Physik komplett revolutioniert. Heute sind wir wieder dabei, in eine neue Energieskala einzudringen, die Skala der elektroschwachen Kraft, die eng mit dem Higgs-Teilchen verknüpft ist und uns vor viele Rätsel stellt. Diese Skala nun genau zu studieren ist wahnsinnig spannend und kann eventuell auch zu revolutionären Entdeckungen führen, von denen heute niemand auch nur träumt.

Sie sind in Hamburg geboren und haben hier auch studiert. Wie fühlt es sich an, die erste Direktorin bei DESY zu werden?

Zunächst einmal ist es für mich eine große Ehre, die erste weibliche Direktorin bei DESY zu sein, nachdem ich bei DESY ja auch meine ersten Karriereschritte gemacht habe. Generell ist es mir sehr, sehr wichtig, dass Frauen in allen Bereichen die gleichen Chancen haben und die gleichen Bedingungen vorfinden wie Männer. In einer modernen Gesellschaft sollte man das Potenzial aller Menschen optimal ausnutzen, egal, zu welchem Geschlecht sie sich zuordnen, mit welcher Religion sie sich identifizieren oder welchen sozialen oder ethnischen Hintergrund sie haben. 

Und mit Hamburg bin ich ja immer verbunden geblieben: Ich bin eingefleischter HSV-Fan! Als älteste von drei Geschwistern hat mein Vater mich schon früh mit ins Stadion genommen, und noch heute sehe ich mir jedes Spiel mit ihm an – allerdings meistens auf dem Sofa statt im Stadion.