DESY News: Röntgenblick auf Nanostrukturen

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20.07.2021
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Röntgenblick auf Nanostrukturen

Untersuchung zeigt Selbstorganisation von Materialien auf mehreren Größenskalen

Durch gezielte Strukturierung auf der Nanoebene werden Materialien in vielen Anwendungen oft wesentlich leistungsstärker. Besonders interessant sind dabei solche Materialien, die sich von selbst in der gewünschten Struktur organisieren, ohne dass aufwendige Verfahren dazu nötig sind. Diese Selbstorganisation hat ein Forschungsteam von der Universität Hamburg, DESY, der Europäischen Synchrotronstrahlungsquelle ESRF und der Ludwig-Maximilians-Universität München nun ins Visier genommen. Mit unterschiedlichen Röntgentechniken beobachteten die Forscherinnen und Forscher die Bildung wenige Nanometer kleiner Kobaltoxid-Kristalle und verfolgten, wie die Kristalle noch während ihrer Entstehung einheitliche Zusammenschlüsse formten. Über die Ergebnisse berichtet das Team im Fachblatt „Nature Communications“.

Röntgenstrahlung aus einer Synchrotronstrahlungsquelle (Zentrum) wird von Materie sowohl abgeschwächt (absorbiert) als auch abgelenkt (gestreut). Je nachdem, welche dieser Wechselwirkungen man mit einer bestimmten Röntgentechnik vermisst, lassen sich daraus Rückschlüsse auf verschiedene Stadien des Entstehungsprozesses eines Nanomaterials ziehen. Wenn man sowohl Röntgenabsorption als auch Röntgenstreuung kombiniert, kann man alle Schritte vom Ausgangsstoff (links) bis zu den fertig assemblierten Nanostrukturen (rechts) entschlüsseln. Bild: Nature Communications, Grote/Zito/Frank et al. Linkhttps://dx.doi.org/10.1038/s41467-021-24557-z CC BY 4.0 http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/
Nanomaterialien weisen besondere Eigenschaften auf, die sie in vielen Anwendungen leistungsstärker als herkömmliche Materialien machen. So können etwa Nanopartikel effiziente Katalysatoren sein, selbst wenn ihre Baumaterialien eigentlich nur wenig katalytisch aktiv sind. Ein ausgesprochen großes Potenzial entsteht aufgrund der Vielfalt an Formen und Verbindungen, die auf der Nanoskala denkbar sind. Die Gestalt dieser Nanostrukturen genau einzurichten, kann jedoch ein aufwendiger Prozess ein. Daher legen die Forscher und Forscherinnen ein besonderes Augenmerk auf solche Nanokristalle, die ganz ohne äußere Einflussnahme selbstständig komplexe Strukturen ausbilden, indem sie sich zum Beispiel aneinanderlagern (assemblieren). Auf diese Weise vergrößert sich ihre Wirksamkeit in wichtigen technologischen Anwendungen wie der grünen Energiegewinnung oder der Sensorik.

„Dass sich Nanopartikel selbstständig wie nach einem Bauplan anordnen und neue Formen annehmen, ist häufig zu beobachten“, erklärt Lukas Grote von DESY und der Universität Hamburg, einer der Hauptautoren der Studie, die auch vom Exzellenzcluster „CUI: Advanced Imaging of Matter“ unterstützt wurde. „Wir möchten nun jedoch verstehen, warum sie dies tun, und welche Schritte sie auf dem Weg zu ihrer endgültigen Form durchlaufen. Deshalb verfolgen wir die Entstehung von Nanomaterialien in Echtzeit und nutzen dabei hochintensive Röntgenstrahlung.“ Diese Untersuchungen fanden an DESYs Röntgenquelle PETRA III und an der ESRF statt.

„Nanomaterialien haben jedoch meist eine komplexe Entstehungsgeschichte“, betont Dorota Koziej, Professorin am Center for Hybrid Nanostructures (CHyN) an der Universität Hamburg. „Deshalb ist eine einzelne Röntgenmethode nicht ausreichend, alle Schritte des Entstehungsprozesses zu untersuchen. Bei jedem Schritt muss man mit der richtigen Technik ansetzen, und die Teilergebnisse später zu einem Gesamtbild zusammensetzen.“

Wenn Röntgenstrahlung sich durch Materie bewegt, wird sie sowohl abgeschwächt (absorbiert), als auch in ihrer Bewegungsrichtung geändert (gestreut). Beide Vorgänge lassen sich getrennt beobachten, und daraus lassen sich Rückschlüsse auf verschiedene Stadien des Entstehungsprozesses eines Nanomaterials ziehen. Aus der Röntgenabsorptionsspektroskopie, also der unterschiedlich starken Absorption von Röntgenlicht je nach dessen Wellenlänge, können chemische Veränderungen in Molekülen erkannt werden. Diese Technik zeigt also, in welchen Schritten sich die Ausgangsstoffe des Nanomaterials umwandeln, noch bevor sich Nanokristalle gebildet haben.

Ab dem Moment, in dem sich die kleinsten Nanokristalle bilden und wachsen, verändert sich dann die Art und Weise, in der das Röntgenlicht von dem Material gestreut wird. „Die Überlagerung, also die Interferenz von Lichtwellen führt dazu, dass in bestimmte Richtungen mehr Licht abgelenkt wird als in andere. Aus dieser Streuung des Röngenlichtes können wir dann berechnen, wie sich die Form und Größe der Kobaltoxid-Nanokristalle während ihres Entstehungsprozesses entwickeln“, erklärt Cecilia Zito, eine der Hauptautorinnen von der Universität Hamburg, die nun an der Sao Paulo State University in Brasilien arbeitet. „Wir können dann auch beobachten, in welcher Weise sich die Nanokristalle aneinanderlagern, sich also selbstständig zu neuen und komplexeren Strukturen verbinden“, ergänzt Kilian Frank von der Ludwig-Maximilians-Universität München, ebenfalls Hauptautor der Studie.

„Den Bauplan von Nanomaterialien zu ergründen, bleibt trotzdem eine große Herausforderung. Jede Verbindung ist anders, und viele Wege der Selbstassemblierung verstehen wir noch nicht“, sagt Grote. Die beteiligten Forscherinnen und Forscher sind jedoch überzeugt, dass sich dies bald ändert. „Am Ende suchen wir ein Gesamtmodell, mit dem wir die Entstehung komplexer Nanostrukturen ganz allgemein erklären und vorhersagen können“, sagt Koziej. „So lernen wir, wie wir am besten auf die dynamischen Prozesse auf der Nanoskala Einfluss nehmen, und letztendlich das volle Potenzial dieser maßgeschneiderten Nanomaterialien ausnutzen.“

 

Originalveröffentlichung:
X-ray studies bridge the molecular and macro length scales during the emergence of CoO assemblies; Lukas Grote, Cecilia A. Zito, Kilian Frank, Ann-Christin Dippel, Patrick Reisbeck, Krzysztof Pitala, Kristina O. Kvashnina, Stephen Bauters, Blanka Detlefs, Oleh Ivashko, Pallavi Pandit, Matthias Rebber, Sani Y. Harouna-Mayer, Bert Nickel and Dorota Koziej; „Nature Communications“,2021; DOI: 10.1038/s41467-021-24557-z