DESY News: Ungewöhnliches Schmelzen von Diamant

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19.03.2021
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Ungewöhnliches Schmelzen von Diamant

Röntgenlaser reißt atomare Bindungen blitzschnell auseinander

Ein internationales Forschungsteam hat einen unkonventionellen Schmelzprozess in Diamant beobachtet, nachdem der Edelstein mit einem Röntgenlaser beschossen worden war. Während beim herkömmlichen Schmelzen die Atome einer Probe durch Erhitzen immer stärker in Bewegung geraten, bis ihre Bindungen schließlich reißen, hat der extrem intensive Röntgenlaser die Bindungen direkt auseinandergerissen, und erst danach begannen sich die Atome durch die Erwärmung zu bewegen. Die Wissenschaftler um Ichiro Inoue vom RIKEN SPring-8 Center in Japan, Eiji Nishibori von der Universität Tsukuba in Japan und DESY-Wissenschaftlerin Beata Ziaja stellen ihre Beobachtungen in der Fachzeitschrift „Physical Review Letters“ vor.

Der Röntgenlaser bricht die Bindungen im Diamant sofort, erst danach beginnen sich die Atome zu bewegen (Symbolbild). Bild: DESY, Gesine Born
Röntgenstrahlung wird vielerorts routinemäßig verwendet, etwa zum Scannen von Gepäckstücken an Flughäfen und zur Aufnahme medizinischer Bilder. Dabei wird die Röntgenstrahlung in der Regel von Röntgenröhren erzeugt, einer Art Röntgenäquivalent der Glühbirne. Die Röntgenstrahlen aus diesen Röhren sind im Vergleich allerdings nicht besonders intensiv. Für anspruchsvollere Anwendungen, wie etwa Schnappschüsse chemischer Reaktionen im Pikosekundenbereich (billionstel Sekunden) oder Erkundung der genauen Strukturen kleiner Biomoleküle und Viren sind sehr viel intensivere Röntgenstrahlen nötig. Für solche Anwendungen sind Freie-Elektronen-Röntgenlaser (XFELs) maßgeschneidert.

Diese Röntgenlaser erzeugen ultrakurze, extrem helle Pulse mit einer Dauer von wenigen Femtosekunden (billiardstel Sekunden) und der milliardenfachen Brillanz von Röntgenröhren. Der Röntgenpuls wird auf mikrometer- oder nanometerkleine Punkte auf einer Probe fokussiert und regt dort sehr viele Elektronen auf einmal an, was zu irreversiblen strukturellen Veränderungen in der Probe führt. Ein genaues Verständnis davon, wie die Materie auf dieses intensive Röntgenlicht reagiert, ist für solche Untersuchungen unerlässlich. Jetzt hat das Team diese Wechselwirkungsprozesse mit Hilfe der Röntgenpulse des SPring-8 Angstrom Compact free electron LAser (SACLA) in Japan sichtbar gemacht.

Die Forscher nutzten Diamant als Untersuchungsobjekt und verwendeten die sogenannte Pump-Probe-Technik mit zwei Röntgenpulsen: „Der erste Puls, der Pump-Puls, regt den Diamanten an, und der zweite Puls, der Probe-Puls, untersucht die Struktur der Probe nach einer kontrollierten Verzögerung“, erklärt Inoue. Der Diamant erzeugt ein Beugungsmuster aus dem zweiten Puls, und die sorgfältige Analyse dieses Beugungsbilds liefert den Forscherinnen und Forschern Informationen über die Dichte der Elektronen im Diamanten nach der Anregung durch den ersten Röntgenpuls.

Nur fünf billiardstel Sekunden (Femtosekunden) nach dem Röntgenblitz wird die Verteilung der Elektronen um jedes Atom herum gleichförmig. Bild: Inoue, Ziaja, Nishibori et al.
Die Messung zeigte, dass die starken „kovalenten“ Bindungen zwischen den Kohlenstoffatomen des Diamanten vom Röntgenpuls sofort aufgebrochen werden und die Elektronenverteilung um jedes Atom herum innerhalb von nur etwa fünf Femtosekunden nach dem ersten Puls nahezu einheitlich in alle Richtungen (isotrop) wird. Danach erst setzt die atomare Bewegung ein, die zum Schmelzen führt. „Interessanterweise ist die zeitliche Reihenfolge des Bindungsbruchs und der atomaren Unordnung entgegengesetzt zum konventionellen Schmelzprozess, bei dem Wärme oder Druck zuerst große thermische Schwingungen der Atome und später den Bindungsbruch verursacht“, sagt Inoue.

Die Messergebnisse ließen sich nur auf Grundlage spezieller theoretischer Simulationen interpretieren, die von einem Team von DESY-Forscherinnen und -Forschern und internationalen Kolleginnen und Kollegen durchgeführt wurden. Diese Simulationen zeigten, dass die beobachtete Verschiebung der Kohlenstoffatome auf eine ultraschnelle Umwandlung der Kristallstruktur des Diamanten zurückzuführen ist. Diese wird wiederum durch die Anwesenheit der vielen Elektronen verursacht, die durch den intensiven Röntgenpuls angeregt werden.

„Dieser Femtosekunden-Strukturwandel wird nicht-thermisch genannt, da er nicht durch eine viel länger dauernde, thermische Erwärmung der Atome im Kristallgitter ausgelöst wird“, erklärt Ziaja. „Die Simulationen haben es uns ermöglicht, den Mechanismus und die einzelnen Stadien des beobachteten Übergangs zu identifizieren, der in einem schnellen Schmelzen des Diamanten gipfelte.“ Zusätzliche theoretische Betrachtungen bestätigten die Interpretation der Röntgenstreubilder und damit die Schlussfolgerung auf den Strukturübergang.

„Das röntgeninduzierte nicht-thermische Schmelzen dürfte bei vielen Experimenten mit hochintensiven Röntgenlaserpulsen vorkommen“, kommentiert Nishibori. „Insbesondere kann unsere Erkenntnis großen Einfluss auf Methoden zur Strukturbestimmung mit hochintensiven Röntgenlaserpulsen haben, da in diesem Intensitätsregime die während der Bestrahlung auftretenden röntgeninduzierten Schäden nicht vernachlässigt werden können.“

 

Originalveröffentlichung:
Atomic-scale visualization of ultrafast bond breaking in x-ray-excited diamond; Ichiro Inoue, Yuka Deguchi, Beata Ziaja, Taito Osaka, Malik M. Abdullah, Zoltan Jurek, Nikita Medvedev, Victor Tkachenko, Yuichi Inubushi, Hidetaka Kasai, Kenji Tamasaku, Eiji Nishibori, and Makina Yabashi; „Physical Review Letters“, 2021; DOI: 10.1103/PhysRevLett.126.117403