DESY News: Der tiefe Erdmantel im Labor

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14.10.2020
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Der tiefe Erdmantel im Labor

Hochdruck- und Hochtemperatur-Untersuchung von echtem Gestein zeigt unerwartetes Verhalten bei Bedingungen wie in mehr als 1000 Kilometern Tiefe

Ein Forschungsteam hat bei DESY den tiefen Erdmantel im Labor nachgestellt und dazu erstmals echtes Gestein unter ähnlichen Bedingungen verformt, wie sie in mehr als 1000 Kilometern unter der Oberfläche herrschen. An der Extreme Conditions Beamline von DESYs Röntgenquelle PETRA III setzten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler das Mineral Olivin dem fast 400 000-fachen Atmosphärendruck und einer Temperatur von mehr als 700 Grad Celsius aus und erzeugten dadurch eine Hochdruckmischung der beiden häufigsten Minerale der Erde, Bridgmanit und Ferroperiklas. Die Untersuchung offenbarte ein unerwartetes Verhalten dieser für den unteren Erdmantel typischen Mischung, welches die Beobachtung bestimmter Richtungsunterschiede (Anisotropien) bei der Ausbreitung von Erdbebenwellen erklären kann. Das Team um Samantha Couper von der Universität von Utah stellt die Arbeit im Fachblatt „Frontiers in Earth Science“ vor. Zuvor waren in derartigen Hochdruck-Hochtemperatur-Studien nur sortenreine Proben untersucht worden.

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Blick in die Experimentierkammer der Extreme Conditions Beamline an PETRA III (Foto: DESY).
Die Konvektion im Erdmantel steuert die bekannte Plattentektonik und steht somit in direktem Zusammenhang mit der Vulkan- und Erdbebenaktivität unseres Planeten. Die tiefsten Bohrkerne in der Erdkruste reichen jedoch nur wenige Kilometer tief, und die tatsächliche Verformung des Gesteins in der Tiefe der Erde lässt sich nicht direkt beobachten. Stattdessen untersuchen Forscherinnen und Forscher die Konvektion im Erdinneren indirekt, indem sie deren Wirkung auf seismische Wellen analysieren, die auf ihrem Weg durch das Erdinnere aufgespalten und verlangsamt werden. Dabei lassen sich unterschiedliche Wirkungen in verschiedenen Richtungen (Anisotropien) beobachten. Als Ursache gilt, dass sich die Kristalle bestimmter Minerale mit dem Magmafluss im Mantel ausrichten. Diese sogenannte Textur wird durch eine plastische Verformung des Kristallgitters hervorgerufen, die nicht umkehrbar ist.

Die häufigsten Minerale, die im unteren Mantel so eine Textur ausbilden können, sind das Magnesiumsilikat Bridgmanit und das Magnesium-Eisenoxid Ferroperiklas. Bridgmanit ist das häufigste Mineral der Erde, das fast 40 Prozent des Volumens unseres Planeten ausmacht. Um die Dynamik des Erdmantels zu verstehen, ist es daher wichtig zu wissen, wie Bridgmanit sich unter Druck und Hitze verformt. Die meisten Simulationsexperimente zur Erforschung des unteren Erdmantels haben Proben eines einzigen Minerals untersucht. „Durch sogenannte Korn-zu-Korn-Wechselwirkungen unterscheidet sich jedoch das Verformungsverhalten einer Mischung aus mehreren Mineralen potenziell von dem eines einzelnen Minerals“, erläutert Couper. „Wir wollten daher die in Bridgmanit wirkenden Verformungsmechanismen bei hoher Temperatur und hohem Druck untersuchen und den Einfluss von Multimineral-Wechselwirkungen auf die Texturbildung sowohl in Bridgmanit als auch in Ferroperiklas bestimmen.“

Das Team erzeugte daher eine Gesteinsprobe mit einer Zusammensetzung, die für den unteren Erdmantel typisch ist. Dazu komprimierten sie Olivin, ein im oberen Mantel stabiles Mineral, zwischen zwei winzigen, extrem harten Diamantstempeln in einer Hochdruckzelle. Durch Erhitzen der komprimierten Probe mit einem starken Laser wurde das Olivin in Bridgmanit, Ferroperiklas, Ringwoodit und einen kleinen Anteil Stishovit umgewandelt. Die Probe wurde bei einer konstanten Temperatur von 1000 Kelvin (726,85 Grad Celsius) unter einen Druck von 29 bis 39 Gigapascal gesetzt, das entspricht etwa dem 385.000-Fachen des Luftdrucks auf Meereshöhe. „Es ist unseres Wissens das erste Mal, dass eine Probe mit der Zusammensetzung des unteren Mantelgesteins bei diesen Drücken des tiefen Erdmantels und gleichzeitig hoher Temperatur untersucht wurde“, sagt Ko-Autor Hanns-Peter Liermann, Leiter der Extreme Conditions Beamline bei DESY.

Mit den intensiven Röntgenstrahlen von PETRA III konnten die Wissenschaftler während des Experiments die Kristallstrukturen in der Probe beobachten. Die Analyse der Röntgendaten zeigte, dass sich die Texturentwicklung bei Bridgmanit von derjenigen unterschied, die zuvor in Hochdruckstudien bei Raumtemperatur beobachtet worden war. Dies deutet darauf hin, dass sich die Verformungsmechanismen in Bridgmanit mit der Temperatur ändern. Das Team konnte dieses Verhalten auch erfolgreich mit einem physikalischen Modell beschreiben. Ferroperiklas entwickelte in den Experimenten dagegen keine signifikante Textur, obwohl es weicher ist als Bridgmanit und daher eigentlich eher eine Textur zeigen sollte als Bridgmanit.

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Die innere Struktur der Erde. Die Untersuchungen erfolgten bei einem Druck, wie er im unteren Erdmantel herrscht (Bild: DESY/Franziska Lorenz & Jochen Stuhrmann).
Diese Ergebnisse stehen im Gegensatz zu Untersuchungen an reinen Ferroperiklas-Proben, bei denen sich eine signifikante Textur entwickelt. Dies könnte auf die Korn-zu-Korn-Wechselwirkungen zwischen Ferroperiklas und Bridgmanit zurückzuführen sein, die eine für die Texturbildung nötige Umorientierung der Körnung in Ferroperiklas hemmen könnten. Dies bedeutet vermutlich, dass Ferroperiklas überraschenderweise nicht zu den beobachteten seismischen Anisotropien innerhalb des unteren Mantels beiträgt.

Die Studie konnte noch nicht die realen Bedingungen des unteren Erdmantels mit Drücken von bis zu 136 Gigapascal und Temperaturen von 4000 Kelvin erreichen, sie dient jedoch als bislang beste Annäherung für die Verformung von Proben mit der Zusammensetzung des unteren Erdmantels. „Unsere Analyse deutet darauf hin, dass Korn-zu-Korn-Wechselwirkungen zwischen Bridgmanit und Ferroperiklas eine bedeutende Rolle bei der Erzeugung sehr unterschiedlicher Muster der seismischen Anisotropie im unteren Mantel spielen können“, fasst Studienleiter Lowell Miyagi von der Universität von Utah zusammen. „Wir stellen fest, dass wir anhand dieses hypothetischen Gesteins die meisten Beobachtungen seismischer Anisotropien im unteren Erdmantel erklären können. Die in dieser Studie gewonnenen Informationen könnten daher generell zum Verständnis anomaler Regionen seismischer Anisotropie in der Erde beitragen und die gegenwärtige Interpretation seismischer Daten und unser Verständnis von Kristallverformungen im Erdinneren verändern.“

An der Arbeit waren Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Universität von Utah in Salt Lake City, des Deutschen GeoForschungsZentrums GFZ in Potsdam, der Universität Oxford und von DESY beteiligt.

 

Originalveröffentlichung:
Does Heterogeneous Strain Act as a Control on Seismic Anisotropy in Earth’s Lower Mantle?; Samantha Couper, Sergio Speziale, Hauke Marquardt, Lowell Miyagi; „Frontiers in Earth Science“, 2020; DOI: 10.3389/feart.2020.540449