DESY News: Hochtemperatur-Untersuchung ermöglicht Blick auf Bewegungen im Erdmantel

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13.03.2018
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Hochtemperatur-Untersuchung ermöglicht Blick auf Bewegungen im Erdmantel

Forscher entdecken bisher unmessbare Verformungsmechanismus im Mineral Ferroperiklas

Forscher haben eine mögliche Erklärung für das Verhalten seismischer Wellen im Erdmantel gefunden, die helfen könnte, Vorgänge im Erdinneren genau zu kartieren. Mit einem neu entwickelten Versuchsaufbau konnte in Röntgenuntersuchungen bei DESY erstmals untersucht werden, wie sich das Mineral Ferroperiklas bei hohem Druck und hohen Temperaturen verhält. Dabei entdeckten die Forscher um Hauke Marquardt und Julia Immoor vom Bayerischen Geoinstitut (BGI) der Universität Bayreuth eine neue Ausrichtung der Kristallstruktur des Minerals bei Bedingungen wie im unteren Erdmantel, die bestimmte seismologische Beobachtungen erklären könnte. Das internationale Forscherteam präsentiert seine Ergebnisse in der Fachzeitschrift „Earth and Planetary Science Letters“.

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Für die Messung wurde ein neuer Experimentalaufbau verwendet, der bei DESY entwickelt wurde. Mit dem Aufbau konnte das Mineral bei hoher Temperatur und hohem Druck untersucht werden. Bild: Hauke Marquardt, BGI/Universität Bayreuth
Eine der wichtigsten Fragen bei der Erforschung des Erdinneren ist, wie sich die Materie dort verhält, wie weit beispielsweise Platten von der Oberfläche ins Erdinnere absinken. Eine Möglichkeit, mehr über die Struktur und Prozesse in der Erde herauszufinden, ist die Beobachtung und Messung von seismischen Wellen, die bei Erdbeben entstehen. Durch die Messung der Geschwindigkeit und Richtung der Wellen können Forscher Rückschlüsse auf die einzelnen Bestandteile im Erdinneren ziehen.

Im untersten Erdmantel, also in einer Tiefe von ungefähr 2600 bis 2900 Kilometern, konnten Seismologen schon länger ein interessantes Phänomen beobachten: sogenannte Scherwellen, die diese Tiefe durchlaufen, werden in zwei verschiedene Wellen aufgespalten. „Man kann es sich in etwa wie bei einer Welle vorstellen, die entsteht, wenn ein Stein ins Wasser geworfen wird“, erklärt Marquardt. „Diese Welle bewegt sich horizontal vom Stein weg, gleichzeitig bewegt sich das Wasser vertikal auf und ab. Ähnlich ist es bei den seismischen Scherwellen. Beim Aufspalten der Scherwellen in dieser Tiefe werden nun aus der einen Welle zwei, eine horizontale und eine vertikale, die man beide an der Oberfläche messen kann, wobei die horizontale Welle sich schneller bewegt.“

Die Beobachtung der Wellen-Aufspaltung könnte dabei helfen, das Erdinnere genau zu kartieren. Dafür müssen die Wissenschaftler aber wissen, wodurch genau sie entsteht. Eine mögliche Erklärung ist, dass sich Minerale im Erdmantel aufgrund ihrer Kristallstruktur in einer bestimmten Richtung ausrichten und eine sogenannte kristallographische Vorzugsorientierung ausbilden. Durch diese bevorzugte Ausrichtung kommt es zu einer Trennung in zwei verschiedene Wellen mit verschiedenen Ausbreitungsgeschwindigkeiten. Die Wissenschaftler haben jetzt untersucht, ob sich das Mineral Ferroperiklas bei Bedingungen wie im tiefsten Erdmantel so ausrichtet, dass es die beobachtete Aufspaltung der Wellen verursachen könnte. Ferroperiklas ((Mg,Fe)O) ist das zweithäufigste Mineral im unteren Erdmantel, es ist relativ weich und lässt sich leicht verformen. In ihren Experimenten haben sie eine Probe des Gesteins bei Temperaturen von bis zu 1100 Grad Celsius und einem Druck von bis zu 74 Giga-Pascal (das ist mehr als das 100.000-Fache des Drucks in einem Rennradreifen) mit Röntgenstrahlung analysiert.

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Vereinfachte Darstellung einer Erdplatte, die bis zur Kern-Mantel-Grenze absinkt und dort langsam wieder aufsteigt. Rechts (LLVSP) ein Bereich, den die Scherwellen sehr langsam durchlaufen. Die Messergebnisse können dabei helfen, solche Prozesse besser zu verstehen und zu kartieren. Bild: Hauke Marquardt, BGI/Universität Bayreuth
„Wir konnten das Mineral zum ersten Mal bei hohem Druck und bei hohen Temperaturen untersuchen, bisher war es nur bei hohem Druck möglich“, betont DESY-Wissenschaftler Hanns-Peter Liermann von der Extreme Conditions-Messstation P02.2 an DESYs Röntgenlichtquelle PETRA III, an der die Messung durchgeführt wurde. „Die Messung möglich gemacht hat ein neuer Experimentalaufbau, der bei DESY entwickelt wurde. Die Probe wird dabei mit einer sogenannten Diamantstempelzelle zusammengedrückt, während sie durch zwei dünne Graphit-Schichten aufgeheizt wird.“ In ihren Untersuchungen fanden die Forscher einen Verformungsmechanismus, der zu einer neuen, bisher nicht beobachteten Ausrichtung der Kristalle führt, die erst bei hohen Temperaturen und hohem Druck auftritt. Bislang war dieser Prozess nur durch Computersimulationen vorhergesagt worden.

Eine Simulation, die auf den Ergebnissen der Messung basiert, zeigt, dass diese Ausrichtung von Ferroperiklas die Beobachtungen aus der Seismologie erklären, also für das Aufspalten der Wellen verantwortlich sein könnte. „Unsere Untersuchung kann dabei helfen, die Strömungen und Bewegungen im Erdmantel besser zu verstehen“, sagt Marquardt. „Wenn wir wissen, wie sich die Minerale im Erdmantel verhalten und das mit seismologischen Beobachtungen vergleichen, können wir irgendwann vielleicht bestimmen, wie viel und welche Stoffe und Materialien von der Atmosphäre und Erdoberfläche ins Erdinnere transportiert werden – und umgekehrt.“

An der Untersuchung waren Wissenschaftler des Bayerischen Geoinstituts der Universität Bayreuth, des Deutschen Geoforschungszentrums GFZ in Potsdam, der University of Utah in den USA, der Universität Lille in Frankreich und von DESY beteiligt.

 

Originalarbeit:
Evidence for {100} slip in ferropericlase in Earth’s lower mantle from high-pressure/high-temperature experiments; J. Immoor, H. Marquardt, L. Miyagi, F. Lin, S. Speziale, S. Merkel, J. Buchen, A. Kurnosov, H.-P. Liermann; “Earth and Planetary Science Letters”, 2018; DOI: 10.1016/j.epsl.2018.02.045