Forscher beobachten Nanopartikel beim Wachsen

Analyse erlaubt Maßschneidern von Materialien für schaltbare Fenster und Solarzellen


 

Links: Aufbau des in Wasser geloesten Ammonium-Meta-Wolframats auf atomarer Längenskala. Die Oktaeder mit dem zentralen Wolfram-Ion und den sechs umgebenden Sauerstoff-Ionen sind zum Teil über die Ecken, zum Teil über eine Kante miteinander verbunden. Rechts: Aufbau der Nanopartikel in der geordneten kristallinen Form. Die Oktaeder sind ausschließlich über Ecken miteinander verbunden. Bild: Dipankar Saha/Universität Århus

Hamburg, 27. März 2014. Mit DESYs Röntgenlichtquelle PETRA III haben dänische Forscher das Wachstum von Nanopartikeln live verfolgt. Die Untersuchung zeigt, wie sich Wolframoxid-Nanopartikel aus einer Lösung bilden. Diese Partikel werden beispielsweise für intelligente Fenster benutzt, die auf Knopfdruck undurchsichtig werden, und kommen auch in bestimmten Solarzellen zum Einsatz. Das Team um Hauptautor Dr. Dipankar Saha von der Universität Århus stellt seine Beobachtungen im Fachblatt "Angewandte Chemie – International Edition" vor.

Für ihre Untersuchung konstruierten die Wissenschaftler eine spezielle Reaktionskammer, die für Röntgenlicht durchsichtig ist. "Wir benutzen feine Kapillaren aus Saphir oder Quarzglas, die das Röntgenlicht mühelos durchdringt", schildert Forschungsgruppenleiter Prof. Bo Iversen. In den Kapillaren wandelten die Forscher in Wasser gelöstes sogenanntes Ammonium-Meta-Wolframat bei hohem Druck und hoher Temperatur zu Nanopartikeln um. Mit dem hellen Röntgenlicht von PETRA III konnten die Chemiker in Echtzeit verfolgen, wie aus der Lösung kleine Wolfram-Trioxid-Partikel (WO3) mit einer Größe von rund zehn Nanometern wuchsen.

"Die Röntgenmessungen zeigen, wie das Material aufgebaut ist", sagt Ko-Autorin Dr. Ann-Christin Dippel von DESY, die die Messstation P02.1 betreut, an der die Versuche stattfanden. "Mit unserer Methode gelingt es uns, die Strukturen des Materials auf atomaren Längenskalen anzuschauen. Das Besondere dabei ist, dass sich die Dynamik des Wachstumsprozesses verfolgen lässt", betont Dippel. "Die verschiedenen Kristallstrukturen, die sich in diesen Nanopartikeln bilden, sind bekannt. Aber jetzt können wir in Echtzeit verfolgen, wie die Umwandlung von Molekülen zu Nanokristallen geschieht. Dabei sehen wir nicht nur, wie der Prozess abläuft, sondern auch, warum sich bestimmte Strukturen bilden."

Auf molekularer Ebene sind die Grund-Baueinheiten von vielen Metall-Sauerstoff-Verbindungen wie Oxiden sogenannte Oktaeder, die von acht gleichen Dreiecken aufgespannt werden. Diese Oktaeder können entweder jeweils an der Ecke verbunden sein oder an einer Kante. Je nach Konfiguration besitzen die resultierenden Verbindungen unterschiedliche Eigenschaften. Das gilt nicht nur für Wolfram-Trioxid, sondern ist grundsätzlich auch auf andere Materialien übertragbar.

Die Oktaeder-Einheiten aus der Lösung wachsen zu den Nanopartikeln heran, wobei ein zehn Nanometer kleines Partikel etwa 25 Oktaeder vereint. "Wir konnten feststellen, dass zunächst jeweils beide Strukturelemente in dem Ausgangsmaterial vorkommen, die Verbindung über Eck und an der Kante", erläutert Saha. "Im Verlauf der Synthese ordnen sich die Oktaeder jedoch um: Je länger man wartet, desto mehr verschwindet die Kantenverbindung, und die Verbindung über Eck wird häufiger. Die Nanopartikel, die in unseren Untersuchungen entstanden sind, haben eine überwiegend geordnete Kristallstruktur."

In der kontinuierlichen industriellen Synthese geht der Prozess dagegen so schnell, dass vor allem Nanopartikel mit gemischten, ungeordneten Strukturen entstehen. "Geordnete Strukturen entstehen, wenn man den Oktaedern Zeit gibt, sich umzuorientieren," berichtet Saha. "Diese Beobachtung können wir beispielsweise benutzen, um bei den Nanopartikeln bestimmte Eigenschaften einzustellen. Und dieses Prinzip lässt sich auch auf andere Nanopartikel übertragen."


Das Deutsche Elektronen-Synchrotron DESY ist das führende deutsche Beschleunigerzentrum und eines der führenden weltweit. DESY ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft und wird zu 90 Prozent vom BMBF und zu 10 Prozent von den Ländern Hamburg und Brandenburg finanziert. An seinen Standorten in Hamburg und Zeuthen bei Berlin entwickelt, baut und betreibt DESY große Teilchenbeschleuniger und erforscht damit die Struktur der Materie. Die Kombination von Forschung mit Photonen und Teilchenphysik bei DESY ist einmalig in Europa.


Originalveröffentlichung
“In Situ Total X-Ray Scattering Study of WO3 Nanoparticle Formation under Hydrothermal Conditions”; D. Saha et al.; Angewandte Chemie - International Edition (Vol. 53, Nr. 14, 1.4.2014); DOI: 10.1002/anie.201311254 (Online-Vorab am 26.2.2014)

Wissenschaftliche Ansprechpartner
Dr. Dipankar Saha, Universität Århus, +45 87 15 59 05, dipankar@chem.au.dk
Dr. Ann-Christin Dippel, DESY, +49 172 1695626, ann-christin.dippel@desy.de
Prof. Bo B. Iversen, Universität Århus, +45 87 15 59 82, bo@chem.au.dk

Pressekontakt
DESY-Pressesprecher Thomas Zoufal, +49 8998-1666, presse@desy.de

Bilder


Darstellung der Häufigkeitsverteilung relativer atomarer Abstände in den Nanopartikeln während des Wachstums: Im Verlauf der Synthese (von unten nach oben) verschwindet die Oktaederverbindung über gemeinsame Kanten (Abstand 3,3 Ångström). Am Anfang der Synthese ist das Molekül nur etwa 6 Ångström groß. Erst wenn sich die Nanopartikel nach rund fünf Minuten bilden, entstehen Strukturen, die eine Fernordnung im Bereich von Nanometern (10 Ångström) zeigen. Bild: Dipankar Saha/Universität Århus

Schematische Zeichnung des Versuchsaufbaus: Mit dem hellen Röntgenlicht von PETRA III (oben links) lässt sich verfolgen, wie unter hohem Druck und hoher Temperatur in einer feinen Kapillare (gelb, oben rechts) Nanopartikel wachsen. Das Röntgenlicht wird von den Partikeln gestreut (blau, rechts). Das Streubild enthält Informationen über die innere Struktur der wachsenden Partikel (rot, unten rechts). Bild: Mogens Christensen/Universität Århus