11.04.2013

Flüssig an flüssig wird fest

Forscher entdecken an PETRA III kristalline Nanoschichten an Grenzflächen zwischen Flüssigkeiten

Nicht alle Flüssigkeiten lassen sich mischen. Ein internationales Forscherteam hat an Grenzflächen zwischen Flüssigkeiten erstmals chemische Prozesse mit atomarer Auflösung untersucht und dabei eine über­rasch­ende Entdeckung gemacht. In Experimenten bei DESY in Hamburg, bei denen Wissenschaftler der Kieler Christian-Albrechts-Universität, DESY, sowie aus Israel und den USA mitwirkten, beobachteten sie, dass sich zwischen den Flüssigkeiten eine aus exakt fünf Atomlagen bestehende, geordnete Kristallschicht bildet, die das nachfolgende Wachstum größerer Kristalle bestimmt. Diese Ergebnisse wurden gerade im renommierten Wissenschaftsjournal Proceedings of the National Academy of Science veröffentlicht. Sie könnten zur Entwicklung neuartiger Herstellungs­verfahren für Halbleiter und Nanopartikel beitragen.

Mit dem LISA-Diffraktometer an PETRA III können Grenzflächen in Flüssigkeitsproben untersucht werden.

Allgemein bekannt ist, dass sich Flüssigkeiten wie Öl und Wasser nicht mischen lassen. Wie Grenz­flächen zwischen zwei nicht mischbaren Flüssigkeiten auf atomarem Maßstab aussehen, ist jedoch weitgehend unbekannt, da sie mit den meisten Methoden der modernen Oberflächenforschung nicht untersucht werden können. Um diese Lücke zu schließen, nutzte das Forscherteam um Dr. Bridget Murphy und Prof. Olaf Magnussen (beide Uni Kiel) die brillante Röntgenstrahlung des Teilchenbeschleunigers PETRA III bei DESY. Ein von der Kieler Forschergruppe konzipiertes Instrument namens LISA (Liquid Interfaces Scattering Apparatus) Diffraktometer, das speziell für die Erforschung von Grenzflächen in Flüssigkeiten entwickelt wurde, lenkt dort das hochkonzentrierte Röntgenlicht auf die Flüssigkeitsproben.

 

In ihrer neuesten Arbeit wollten die Forscher erstmals herausfinden, wie chemische Wachstumsprozesse an Flüssigkeitsgrenzflächen im Detail ablaufen. Dazu untersuchten sie Quecksilber in einer Salzlösung, die Fluor-, Brom- und Bleiionen enthielt, und erhielten ein verblüffendes Ergebnis: Obwohl die Moleküle in den beiden Flüssigkeiten ungeordnet waren, bildete sich an ihrer Grenze eine Schicht mit kristalliner Ordnung von weniger als einem Nanometer Dicke. Dies ist zehntausendmal dünner als ein menschliches Haar. „Unsere Röntgendaten zeigen, dass diese Schicht aus einer Atomlage Fluor zwischen zwei Lagen Blei und zwei Bromlagen besteht“, erläutert Teammitglied Annika Elsen, die mit dieser Arbeit vor kurzem promoviert wurde. Auf dieser Nanoschicht wachsen anschließend perfekt ausgerichtete größere Kristalle.

 

Das Entstehen atomarer Ordnung an solchen ungeordneten flüssigen Grenzflächen ist für die Wissenschaft nicht nur von grundsätzlichem Interesse. Tatsächlich wurden in den letzten Jahren verschiedene chemische Prozesse entwickelt, in denen Wachstum an Flüssigkeitsgrenzflächen zur Herstellung von Materialien und Nanopartikeln genutzt wurden. So zeigten amerikanische Wissenschaftler an der Universität von Michigan vor zwei Jahren, dass sich das Halbleitermaterial Germanium durch sehr ähnliche Prozesse äußerst energieeffizient aus seinem Oxid gewinnen lässt. Weiterentwicklungen solcher Verfahren könnten helfen, die hohen Energiekosten bei der Herstellung von Solarzellen zu senken. Dazu muss der Ablauf solcher Prozesse auf atomarer Skala jedoch besser verstanden werden. Die Arbeiten der Kieler Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bilden den ersten Schritt dazu.

 

Originalveröffentlichung

In situ x-ray studies of adlayer-induced crystal nucleation at the liquid-liquid interface, A. Elsen, S. Festersen, B. Runge, C.T. Koops, B. M. Ocko, M. Deutsch, O. Seeck, B. M. Murphy, O. M. Magnussen, Proc. Nat. Acad. Sci., doi: 10.1073/pnas.1301800110(2013)