28.02.2012

Röntgenlaser enthüllen Struktur von Proteinen aus der Zellmembran

Neues Verfahren kann Arzneimittel-Entwicklung vereinfachen

Für die Entwicklung neuer Medikamente sind die Membranproteine unserer Zellen von zentraler Bedeutung: Kennt man ihre Struktur, lassen sich maßgeschneiderte Wirkstoffe herstellen. Ein internationales Forscherteam unter Beteiligung von DESY-Wissenschaftlern hat jetzt einen neuen Weg zur Strukturanalyse der schwer zu untersuchenden Membranproteine aufgezeigt. Mit dem Freie-Elektronen-Röntgenlaser LCLS am US-Beschleunigerzentrum SLAC konnten sie Strukturinformationen aus den Biomolekülen gewinnen. Das Team um Linda Johansson von der Universität Göteborg (Schweden) stellt sein Verfahren im Fachblatt "Nature Methods" (DOI: 10.1038/NMETH.1867) vor.

Kristallformation der Lipid-Schwammphase von Protein-Mikrokristallen des Bakteriums Blastochloris viridis. Abbildung: Richard Neutze, Universität Göteborg

Alle Zellen – die elementaren Bausteine lebender Organismen – sind umgeben von einer Biomembran, die das Innere der Zelle umgibt. „Zellmembranen steuern, was in die Zelle hinein- und hinausgelangt“, erklärt DESY-Wissenschaftler Prof. Henry Chapman, dessen Gruppe am Center for Free-Electron Laser Science (CFEL) in Hamburg an der Studie mitgearbeitet hat. In Biomembranen gebundene Proteine spielen die Hauptrolle bei der Kommunikation von Zellen mit ihrer Umgebung. Rezeptorproteine an der Außenseite der Zelle lösen beispielsweise Veränderungen in der Zelle aus, wenn sie Signalmoleküle binden wie etwa Hormone oder Botenstoffe des Nervensystems.

Angriffspunkt für Medikamente

„In vielen Fällen sind Membranproteine Angriffspunkte für Medikamente“, betont Chapman. „Koffein beispielsweise wirkt über G-Protein-gekoppelte Rezeptoren.“ Membranproteine haben natürlich nicht nur Bedeutung für Kaffeetrinker, sondern sind vor allem für die Pharmaforschung von großem Interesse. Die Herstellung eines speziellen Medikaments, das wirksam an ein Rezeptorprotein binden soll, gelingt am besten, wenn zuvor die Struktur des Rezeptors bestimmt werden kann.

Seit vielen Jahren nutzen Wissenschaftler die Röntgenkristallographie für die Bestimmung von Proteinstrukturen. Wenn die Röntgenstrahlen einen Kristall durchdringen, streuen sie in bestimmte Richtungen und erzeugen dabei ein sogenanntes Beugungsmuster. Forscher nutzen dieses Beugungsmuster, um die Struktur des Moleküls innerhalb des Kristalls zu ermitteln.

Doch die Herstellung eines ausreichend großen Proteinkristalls ist nach wie vor nicht einfach, besonders wenn es sich um Membranproteine handelt. Die Gruppe von Stephen White an der University of California in Irvine führt Buch über die Anzahl der bekannten Membranproteinstrukturen. Mitte Februar 2012 waren von den 73.492 in der Proteindatenbank (PDB) gesammelten Proteinstrukturen – eine wichtige Datenquelle für Strukturbiologen – nur 320 spezielle Membranproteine. Wenn man davon ausgeht, dass etwa 30% der Proteine von lebenden Organismen in Membranen eingebettet sind, so sind Membranproteine in der PDB stark unterrepräsentiert.

Proteine werden instabil

„Membranproteine sind deshalb so schwer zu kristallisieren weil sie sich in der Membran am wohlsten fühlen“, erläutert Chapman. Biomembranen bestehen aus Lipiden, einer Klasse von Proteinen, die auch Fette und Wachse einschließt. In den meisten Fällen werden die Proteine beim Entfernen aus ihrer „fettigen“ Umgebung instabil. Ein Ansatz für die Kristallisation von Membranproteinen ist, die natürliche Lipidumgebung nachzuahmen. Mit der Analyse von Mikrokristallen eines in Lipiden eingebetteten Membranproteins sind die Wissenschaftler bei diesem Ansatz nun einen großen Schritt weitergekommen.

An der Universität Göteborg kristallisierten Forscher um Richard Neutze ein bakterielles Membranprotein aus einer Lipid-Schwammphase. Die Bezeichnung stammt von der schwammartigen Struktur der Lipidansammlungen, die mit dem Protein eine stabile Mischung bilden. Doch selbst in dieser Schwammphase wachsen die Proteinkristalle nur auf wenige tausendstel Millimeter (Mikrometer). „Für Untersuchungen mit Synchrotronstrahlung brauchen wir jedoch hundertmal größere Kristalle, da die Stärke der Röntgenbeugung mit dem Volumen des Kristalls zunimmt“, erklärt Chapman.

Hundert Mal kleiner

Röntgenlaser wie der LCLS oder künftig der European XFEL, der zurzeit in Hamburg gebaut wird, leuchten jedoch hell genug, um auch kleinere Kristalle zu analysieren. So gelang den Forschern die Strukturbestimmung des Photosynthese-Reaktionszentrums eines Bakteriums mit Hilfe von Kristallen, die nahezu hundertmal kleiner sind als solche, die üblicherweise für Röntgenbeugungsanalysen in Synchrotron-Strahlungsquellen verwendet werden. Das könnte den Engpass in der Membranprotein-Analyse umgehen, zunächst ausreichend große Kristalle für die Untersuchung herstellen zu müssen.

Allerdings sind zahlreiche Proben nötig, denn die Kristalle werden von den intensiven Pulsen eines Röntgenlasers pulverisiert. Die Forscher schossen die Röntgenblitze des LCLS auf einen Strahl winziger Protein-Mikrokristalle. Jeder Röntgenpuls war nur 0,000 000 000 000 07 Sekunden (70 Femtosekunden) lang, traf aber mit einer Leistung von 600.000 Billionen Watt pro Quadratzentimeter auf die Probe. „So ein Strahl ist stark genug, um ein Loch durch Edelstahl zu bohren“, betont Chapman.

Aus den Beugungsmustern von 265 zufällig orientierten Mikrokristallen konnten die Forscher die Struktur des Photosynthese-Reaktionszentrums des Bakteriums Blastochloris viridis bestimmen und haben damit das Verfahren erfolgreich getestet. Obwohl die gewonnene Strukturinformation noch keine sehr hohe Auflösung hat, konnten die Wissenschaftler charakteristischen Merkmale wie beispielsweise Transmembran-α-Helices erkennen.

Chapman und seine Gruppe planen nun, diese Methode an vielen anderen schwierig zu analysierenden Membranproteinen anzuwenden. Neue Entwicklungen am LCLS stellen den Forschern noch kürzere Röntgenwellenlängen als bisher zur Verfügung. Dadurch könnte die Auflösung der Membranproteinstrukturen bis auf die atomare Ebene steigen. „Kürzere Wellenlängen bringen eine bessere Auflösung, denn kürzere Wellen können mit kleineren Objekten besser wechselwirken“, sagt Chapman. "Und eine atomare Auflösung ist entscheidend, wenn man wirklich verstehen will, wie Medikamente wirken.“

Manuel Gnida

 

Originalveröffentlichung

"Lipidic phase membrane protein serial femtosecond crystallography"; Johansson et al.; Nature Methods, 2012, DOI: 10.1038/NMETH.1867

 

Über das CFEL

Das Center for Free-Electron Laser Science (CFEL) in Hamburg ist eine Kooperation des Deutschen Elektronen-Synchrotrons DESY, der Max-Planck-Gesellschaft und der Universität Hamburg zur Forschung an und mit Lichtquellen der nächsten Generation.


Über LCLS

Der Röntgenlaser LCLS (Linac Coherent Light Source) ist eine vom US-Energieministerium finanzierte Großforschungsanlage am Beschleunigerzentrum SLAC in Kalifornien. LCLS ist der erste Freie-Elektronen-Laser für harte Röntgenstrahlung und eröffnet Forschern den Blick auf atomare Details und ultrakurze Prozesse in der Nanowelt. LCLS ermöglicht wegweisende Forschung in der Physik, der Chemie, der Strukturbiologie, der Energieforschung und auf zahlreichen weiteren Feldern.