21.10.2011

Kälter als das Weltall – erste Module der Helium-Leitung aus Polen eingetroffen

Viele moderne Teilchenbeschleuniger benötigen Tieftemperaturkühlung. Die Beschleunigermodule für den europäischen Röntgenlaser European XFEL etwa bringen die Elektronen erst bei frostigen -271 Grad Celsius ausreichend auf Trab. Das Herzstück der Beschleunigermodule sind Hochfrequenz-Resonatoren aus supraleitendem Niob, die in einem Heliumbad gekühlt werden. Bevor diese 800 sogenannten Kavitäten in die Beschleunigermodule eingebaut werden, müssen alle einzeln getestet werden – bei Betriebstemperatur. Auch die zwölf Meter langen fertig zusammengebauten Beschleunigermodule werden vor dem Einbau in den Beschleunigertunnel nochmal einzeln überprüft. Für diese Qualitätskontrollen wird bei DESY die Accelerator Module Test Facility (AMTF) errichtet. Zur Versorgung mit tiefkaltem Helium wird die AMTF über eine 168 Meter lange Spezialleitung mit einer bereits vorhandenen Heliumkälteanlage verbunden. Die ersten Module dieser Transferleitung sind jetzt aus dem polnischen Wroclaw eingetroffen. Diese Leitung, die Testgefäße und die Durchführung der Tests selbst gehören zum polnischen Beitrag für den European XFEL. Die Tests der Resonatoren sollen im nächsten Jahr beginnen.

Der Transport von tiefkaltem Helium ist alles andere als trivial. Die Transferleitung muss bei Schnee, Regen, Sturm und vor allem Sonne zuverlässig funktionieren, das heißt, das Helium im Zentrum darf sich nicht erwärmen. Dafür sorgt eine komplizierte Konstruktion: Im Herzen eines rund 40 Zentimeter dicken Außenrohres verlaufen vier Prozessleitungen, je eine für den Hin- und den Rücktransport von 4 Kelvin (-269 Grad Celsius) und 40 Kelvin (-233 Grad Celsius) kaltem Helium. Mit dem „wärmeren“ Helium wird ein Kälteschild gekühlt, der die Prozessleitungen einschließt und so das Temperaturgefälle im Zentralbereich des Rohrs mindert. Um diesen Schild ziehen sich mehrere Lagen einer dünnen, mit Aluminium bedampften Kunststofffolie (Mylarfolie), die sogenannte Superisolation, um die Wärmestrahlung von außen zu reflektieren.

Zudem ist das Stahlrohr luftleer. Im Inneren herrscht ein Hochvakuum, damit keine Wärmeleitung über die Luft stattfinden kann. Auch die Aufhängung der inneren Prozessleitungen darf möglichst keine Wärme transportieren. Sie muss aber so flexibel sein, dass sich die Prozessleitungen gegen den äußeren Mantel bewegen können. Denn der Stahlmantel verformt sich durch Schwankungen der Umgebungstemperatur. Schließlich müssen die Konstrukteure darauf achten, dass es nirgendwo eine offene Stelle in der Isolierung gibt, das wäre sofort ein Kälteleck, wie der Chef der zuständigen DESY-Gruppe MKS Bernd Petersen erläutert. Besonders die gebogenen Leitungsteile sind eine Herausforderung. 

Der Bau der Transferleitung wird von der Wroclaw University of Technology betreut, die Module werden von der  Spezialfirma KrioSystems im Technologiepark der polnischen Universitätsstadt gefertigt und in zwölf Meter langen Einheiten nach Hamburg geliefert. Die ersten 60 Meter Leitung sind bereits da. Die Montage wird im November beginnen. Im April 2012 werden dann die beiden Testgefäße erwartet, die sogenannten Kryostaten, die ebenfalls aus Wroclaw kommen. Sie sind 3,8 Meter hoch, haben einen Meter Durchmesser und werden mit jeweils zwei Kubikmetern flüssigem Helium gefüllt. Hier ist das Helium sogar noch zwei Grad kälter, als es aus der Transferleitung sprudelt. Um das zu erreichen, saugen Pumpen den Heliumdampf ab. Zurück bleibt – nach mehreren Schritten – zwei Kelvin (-271 Grad Celsius) kaltes flüssiges Helium, das ist kälter als das Weltall. 

Auch die Kryostaten müssen daher sehr gut isoliert sein. „Das Prinzip ist ganz ähnlich wie bei einer Thermosflasche“, erläutert Petersen. Ein innerer Schild und ein Vakuum isolieren das Heliumgefäß gegen den Mantel. Die Kryostaten werden in den Hallenboden der AMTF eingelassen. In diesem Kältebad werden dann jeweils vier Niob-Kavitäten gleichzeitig getestet, bevor sie zur Montage zum CEA-Institut ins französische Saclay bei Paris verfrachtet werden. Für den Transport kommen die empfindlichen Niob-Resonatoren in Spezialkisten, wie sie in ähnlicher Form auch für den Transport von Musikinstrumenten verwendet werden. Jeweils acht der Resonatoren werden in Frankreich zu einem Beschleunigermodul zusammengebaut, das dann zurück nach Hamburg gefahren wird. Bevor es jedoch im Beschleuniger für den European XFEL landet, wird jedes Modul erneut in der AMTF getestet. Für die Tests der Resonatoren und der Module ist ein Team des Henryk-Niewodniczanski-Instituts für Kernphysik der Polnischen Akademie der Wissenschaften aus Kraków verantwortlich.