20.03.2012

Blumenstillleben von Vincent van Gogh mit neuer Untersuchungsmethode wiederentdeckt

Synchrotronstrahlungsexperiment belegt Echtheit eines Gemäldes

Nach intensiven Untersuchungen kann das Kröller-Müller-Museum (Otterlo, Niederlande) ein weiteres Gemälde von Vincent van Gogh sein eigen nennen: Stillleben mit Wiesenblumen und Rosen. Die Echtheit des Bildes war seit dem Erwerb durch das Museum 1974 angezweifelt worden, u.a. wegen seiner für ein van Gogh-Gemälde ungewöhnlichen Gröβe und der an einer ungewöhnlichen Stelle angebrachten Signatur. Das Werk war seit seiner Aberkennung als van Gogh im Jahr 2003 als das Werk eines unbekannten Künstlers geführt worden. Nun, neun Jahre später, ist es einer Gruppe internationaler Forscher von der Technischen Universität Delft, der Universität Antwerpen, des Deutschen Elektronen-Synchrotrons DESY in Hamburg, des Van Gogh Museums und des Kröller-Müller-Museums gelungen nachzuweisen, dass es sich um ein Gemälde von Vincent van Gogh handelt. Die Ergebnisse der Forschungen, die größtenteils an DESYs Synchrotronstrahlungsquelle DORIS durchgeführt wurden, werden in dem Artikel „Rehabilitation of a flower still life in the Kröller-Müller Museum and a lost Antwerp painting by Van Gogh“ (Wiederzuschreibung eines Blumenstilllebens aus der Sammlung des Kröller-Müller-Museums an Vincent van Gogh und Wiederentdeckung eines verschollenen Gemälde aus seiner Zeit in Antwerpen) vorgestellt, einem vorab veröffentlichten Beitrag zum Band „Van Gogh Studies 4“, einer Sammlung von Publikationen zu Leben und Werk van Goghs. Von heute an ist das Gemälde in der van Gogh-Sammlung des Kröller-Müller-Museums der Öffentlichkeit zugänglich.

Foto des Gemäldes Stillleben mit Wiesenblumen und Rosen (© Kröller-Müller-Museum)

In der Geschichte des Bildes, seines Weges in die Sammlung des Kröller-Müller-Museums und seiner Wiederentdeckung durch modernste technische Untersuchungsmethoden ist mit diesen Forschungsarbeiten ein weiteres Kapitel wissenschaftlich belegt:

Antwerpen

Die Geschichte des Bildes beginnt in Antwerpen: Hier schrieb sich Vincent van Gogh, der sich seit November 1885 in der Stadt aufhielt, im Januar 1886 an der Königlichen Kunstakademie ein. Im Rahmen seines Studiums malte er zwei miteinander ringende Männer. Aus einem Brief an seinen Bruder Theo van Gogh, in dem er ihn um Geld bat, ist bekannt, dass Vincent van Goghs Lehrer ihn drängten, eine große vorbereitete Leinwand, sowie neue Pinsel und Farben zu kaufen. Eine Woche später schrieb van Gogh: „Letzte Woche malte ich ein großes Ding mit zwei nackten Oberkörpern – zwei Ringer“, und dass er sehr zufrieden mit dem Ergebnis sei. Die große Leinwand war an der Kunstakademie von Antwerpen ein Standardformat für solche Studien.

Paris

Van Gogh nahm das Gemälde der Ringer mit sich, als er im Februar 1886 aufbrach, um bei seinem Bruder Theo in Paris zu leben. Einige Monate später malte er auf die Ringer ein Blumenstillleben. Dabei ging er wie bei anderen Bildern, die er zu dieser Zeit übermalte, vor: Ohne die Ringer abzukratzen oder mit einer einheitlichen Farbschicht zu überdecken, malte er das Blumenstillleben direkt auf die vorherige Komposition. 

Damit können auch zwei Punkte erklärt werden, die immer wieder als Argumente gegen die Echtheit des Bildes angeführt wurden: Das Format des Bildes, das wesentlich größer ist als vergleichbare Blumenstillleben van Goghs, und der überladene Vordergrund des Bildes. Die Gröβe des Bildes wurde durch die bereits vorhandene Leinwand vorgegeben, und die Blumen im Vordergrund waren nötig um zu verhindern, dass die Ringer sich unter der Oberfläche abzeichneten.

Kröller-Müller-Museum

Das Gemälde wurde 1920 auf einer Auktion angeboten, auf der die Kröllers 26(!) von 48 angebotenen van Gogh-Gemälden ersteigerten, jedoch nicht das Blumenstillleben. Nach der Auktion befand es sich im Besitz verschiedener Privatpersonen, bis es 1974 in die Sammlung des Kröller-Müller-Museums einging. Dabei wurde es mit Mitteln der Rembrandt-Gesellschaft und der Prinz-Bernhard-Stiftung erworben, um einen Verkauf ins Ausland zu verhindern. Ellen Joosten, damals Kuratorin des Museums, beschrieb das Werk als „herausragend“ und „bemerkenswert“. Sie fand das Bild in seiner Gröβe, der Menge an üppigen farbigen Blumen und der glatten „recht schulischen Ausführung“ sehr ungewöhnlich. In dem 2003 erschienenen Katalog des Museums „The paintings of Vincent van Gogh in the collection of the Kröller-Müller Museum“ wurden weitere Argumente gegen die Echtheit des Bildes vorgebracht, die zu seiner Aberkennung führten. Dennoch verblieb das Bild in der Sammlung des Museums.

Neue Untersuchungsmethode

Eine Röntgenaufnahme aus dem Jahre 1998 hatte bereits gezeigt, dass das Blumenstillleben über ein Bild von zwei Ringern gemalt wurde, die sich gegenseitig in die Arme greifen. Dieses Bild faszinierte die Forscher, aber erst zwölf Jahre später gelang es mittels der neu entwickelten bildgebenden Makro-Röntgenfluoreszenzanalyse (makro-RFA, engl. Scanning Macro X-ray Fluorescence Analysis, MA-XRF), mehr Details über das verborgene Bild zu erfahren. Diese Untersuchungen, die größtenteils bei DESY in Hamburg durchgeführt wurden, enthüllten ein charakteristisches Merkmal der Antwerpener Kunstakademie: Die Modelle waren nicht nackt, wie an anderen Kunstakademien in Europa üblich, sondern von der Hüfte abwärts bekleidet. Außerdem konnte gezeigt werden, dass die verwendeten Farbpigmente vollständig denen entsprachen, die van Gogh zu dieser Zeit in anderen Gemälden verwendete, und es war möglich, van Goghs typische Pinselführung in dem verborgenen Bild zu erkennen.

Zuschreibung

Diese und andere im wissenschaftlichen Artikel im Detail besprochene Argumente lassen keinen Zweifel, dass sowohl die Ringer als auch das Blumenstillleben von Vincent van Gogh gemalt wurden. 

Der Artikel „Rehabilitation of a flower still life in the Kröller-Müller Museum and a lost Antwerp painting by Van Gogh“ (Autoren: Luuk Struick van der Loeff, Matthias Alfeld, Teio Meedendorp, Joris Dik, Ella Hendriks, Geert van der Snickt, Koen Janssens und Meta Chavannes) ist in englischer Sprache im Museumsshop des Kröller-Müller-Museums erhältlich. Van Gogh: New Findings (Van Gogh Studies 4) ist ab Juni 2012 erhältlich und wird durch WBooks mit der Unterstützung des Van Gogh-Museums veröffentlicht. 

Das Stillleben mit Wiesenblumen und Rosen wird ab dem 20. März im Kröller-Müller-Museum zusammen mit van Goghs Rosen und Pfingstrosen sowie Blumen in einer blauen Vase gezeigt. 

 

Wissenschaftliche Kontaktpersonen:

Kröller-Müller Museum: Luuk Struick van der Loeff, LuukvanderLoeff@kmm.nl

TU Delft: Prof. Joris Dik, j.dik@tudelft.nl

Van Gogh Museum: Dr. Ella Hendriks, hendriks@vangoghmuseum.nl

University of Antwerp: Prof. Koen Janssens, koen.janssens@ua.ac.be

Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY: Dr. Karen Appel, karen.appel@desy.de

Pressekontakt:

Kröller-Müller Museum, Sylvia Gentenaar, Tel.: +31 (0) 318-596152, +31(0)612506816 oder sylviagentenaar@kmm.nl
TU Delft, Michel van Baal, Tel. +31(0) 015 2785454 oder M.vanBaal@tudelft.nl.  
Van Gogh Museum, Eva Biesiot, Tel. +31(0)20 5705 223 oder Biesiot@vangoghmuseum.nl. 
Universität Antwerpen, Peter De Meyer, Tel. +32 3 265 47 11 oder peter.demeyer@ua.ac.be.
Deutsches Elektronen-Synchrotron DESY, Thomas Zoufal, Tel. +49 40 8998-1666 oder thomas.zoufal@desy.de

Überlagerung eines Röntgenbildes und der durch die MA-XRF-Methode ermittelten Zink-Verteilung des Gemäldes. Die zentralen Bereiche des Gemäldes konnten mit dieser Methode nicht untersucht werden, da das hölzerne Stützkreuz hinter der Leinwand liegt.