DESY News: Seltener Vier-Top-Quark-Zerfall am LHC

News-Suche

Meldungen vom Forschungszentrum DESY

https://www.desy.de/e409/e116959/e119238 https://www.desy.de/aktuelles/news_suche/index_ger.html news_suche news_search ger 1 1 8 both 0 1 %d.%m.%Y Pressemeldung
ger,eng
25.03.2023
Zurück

Seltener Vier-Top-Quark-Zerfall am LHC

CMS und ATLAS entdecken Hinweise auf eine neue Art der Erzeugung von Top-Quarks

Die Kollaborationen ATLAS und CMS haben eine neue Art der Erzeugung von Top-Quarks beobachtet. Top-Quarks, die etwa einmal pro 100 Millionen Kollisionen am Large Hadron Collider LHC am CERN erzeugt werden, können auf viele Arten erzeugt werden. Top-Quark-Antiquark-Paare sind am häufigsten, aber Teilchenphysiker:innen haben auch einzelne entstehende Top-Quarks beobachtet. In einer Kollision können sogar vier solcher Quarks auf einmal entstehen, indem zwei Top-Quarks und zwei Top-Antiquarks gebildet werden. Dies geschieht jedoch sehr selten. Für jede Kollision, bei der vier Top-Quarks entstehen, erwarten wir Wissenschaftler 4000 Kollisionen, bei denen die ebenfalls sehr seltenen Higgs-Teilchen entstehen. Auf der Moriond-Teilchenphysikkonferenz, die zurzeit in Italien stattfindet, haben die beiden Kollaborationen drei neue Ergebnisse zu diesen extrem seltenen Ereignissen vorgestellt.

Download [317KB, 2332 x 875]
Aufzeichnungen einer Vier-Top-Quark-Produktion im ATLAS- (links) und im CMS-Detektor (rechts). Bild: CERN
Durch seine extrem hohe Masse hat das Top-Quark eine sehr enge Beziehung zum Higgs-Teilchen. Das bedeutet, dass die Produktion des Top-Quarks nicht nur interessant ist, weil sie selten ist, sondern auch, weil der Einfluss des Higgs-Bosons die Häufigkeit der Entstehung von vier dieser Quarks und ihr Verhalten verändern kann. Dasselbe gilt für viele hypothetische, unentdeckte Teilchen und Kräfte, so dass die Produktion von vier Top-Quarks Hinweise auf die Physik jenseits des Standardmodells liefert.

„Die Suche nach Ereignissen mit vier Top-Quarks ist eine echte Herausforderung, aber sie lohnt sich“, sagt Freya Blekman, Leitende Wissenschaftlerin bei DESY und Professorin an der Universität Hamburg. Blekman untersucht die Entstehung von vier Top-Quarks seit der Inbetriebnahme des LHC im Jahr 2010. Sie erklärt, dass neue, unentdeckte Teilchen oder sogar eine Wechselwirkung zwischen dem Top-Quark und dem Higgs, die nicht mit den Berechnungen übereinstimmt, die Häufigkeit der Entstehung von vier Top-Quarks verändern würde. „Außerdem liefern unsere vier Top-Quarks spektakuläre Ereignisse, die experimentell spannende Herausforderungen bieten.“

Jedes Top-Quark zerfällt in andere Teilchen, nämlich ein W-Boson und ein Bottom-Quark, und jedes Quark erzeugt einen charakteristischen Teilchenstrahl, den sogenannten Jet. Das W-Boson wiederum kann entweder ein geladenes Lepton und ein Neutrino oder zwei Quark-Jets erzeugen. Leptonen sind eine Klasse von Teilchen, zu denen das Elektron gehört. Für die Forschenden bedeutet dies, dass die Bilder der Teilchenzerfälle, die der Detektor registriert, stark variieren, und zur Identifizierung von vier Top-Quark-Ereignissen alles mögliche von null bis vier geladenen Leptonen, wie Myonen oder Elektronen, und bis zu zwölf Jets enthalten können. Vier Top-Quark-Ereignisse zu finden, ist also eine echte Herausforderung.

Deshalb verwenden alle ATLAS- und CMS-Analysen, die nach vier Top-Quarks suchen, Algorithmen des maschinellen Lernens, um die vier Top-Quark-Ereignisse von dem uninteressanten „Untergrund“ anderer Top-Quarks zu unterscheiden. Die Beobachtungen von ATLAS und CMS, die als vorläufiges Ergebnis auf der Moriond-Konferenz in Italien vorgestellt wurden, stammen aus der erneuten Analyse bereits veröffentlichter Daten vom LHC, die mit fortschrittlicheren Methoden zur Unterscheidung von Hintergrund und Signaturen mit zwei, drei oder vier Leptonen erzielt wurden. Blekman und ihr Team arbeiteten jedoch an den schwierigsten Endzuständen mit null, einem oder zwei Leptonen. Um das Verhalten des sehr großen Hintergrunds aus etwa 80 000 anderen Top-Quarks für jede Kollision mit vier Top-Quarks vorherzusagen, waren Fortschritte bei den experimentellen Techniken und der Hintergrundbewertung erforderlich, die das Verständnis dieser Art von LHC-Ereignissen grundsätzlich verbessern. Blekman: „Es ist uns gelungen, eine der technisch anspruchsvollsten Signaturen, die am LHC untersucht werden, mit einer Sicherheit von 3,9 Standardabweichungen nachzuweisen, d. h. mit einer Chance von eins zu 10 000, dass es sich um eine statistische Fluktuation handelt. Dies wäre ohne den Einsatz der Experten für maschinelles Lernen nicht möglich gewesen.“

Einer dieser Spezialisten für maschinelles Lernen, Vichayanun Wachirapusitanand von der Chulalongkorn University in Thailand, wird von Blekman mitbetreut. Als Mitglied der CMS-Kollaboration, der an seiner Promotion arbeitet, wurde er zum Erstautor der jüngsten Veröffentlichung des Nachweises der Produktion von vier Top-Quarks. „Als Doktorand im Zentrum des Geschehens zu stehen, ist natürlich sehr anspruchsvoll. Ich bin sehr dankbar, dass unser gesamtes Team mich über viele Jahre hinweg bei diesem Projekt unterstützt hat. Die drei Monate, die ich 2022 bei DESY in Hamburg verbracht habe, haben meine wissenschaftliche Arbeit wirklich vorangebracht!“, sagt er.

Interessanterweise übersteigt die Anzahl der Kollisionen, in denen vier Top-Quarks produziert werden, in ATLAS und CMS die Vorhersage des Standardmodells, ist aber innerhalb der großen Messunsicherheiten immer noch vollständig mit dem Modell vereinbar. Die Genauigkeit der Analyse soll sich deutlich verbessern, wenn mehr Daten hinzukommen. Daher bleibt die Produktion von vier Top-Quarks eines der spannenden Themen, die während des dritten Laufs des LHC, der 2022 begann, und mit dem High-Lumi-LHC, der Ende der 2020er Jahre in Betrieb gehen und 20 Mal mehr Daten als jetzt liefern soll, weitergeht.

Weitere Informationen
CERN-News (auf Englisch)
DESY-CMS-Veröffentlichung (eingereicht 7. März 23)