DESY News: Abkürzung zu vielversprechenden Hochdruck-Materialien

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14.05.2021
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Abkürzung zu vielversprechenden Hochdruck-Materialien

Forschungsteam installiert neue Experimentiermöglichkeiten am Röntgenlaser European XFEL

Eine internationale Forschungsgruppe hat am Röntgenlaser European XFEL einen neuen Aufbau für Hochdruck- und Hochtemperaturexperimente in Betrieb genommen, die sogenannte Diamantstempelzellen verwenden. Dabei entdeckten die Forscherinnen und Forscher einen neuen, deutlich schnelleren Weg zur Produktion von Eisennitrid, einem vielversprechenden Material für Datenspeicher und andere Anwendungen. Über ihre Ergebnisse berichten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in zwei Fachpublikationen.

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Blick in die Experimentierkammer am High-Energy-Density-Instrument des European XFEL. Bild: European XFEL
Nitride sind Verbindungen von Stickstoff (N) mit anderen Elementen. Die Nitride von Übergangsmetallen wie Eisen (Fe) sind aufgrund ihrer vielfältigen magnetischen, elektrischen und mechanischen Eigenschaften eine wichtige Gruppe industriell relevanter Materialien. „Insbesondere Eisennitride haben das Interesse der Industrie geweckt als mögliche hochdichte magnetische Datenspeicher sowie für den Einsatz in der Katalyse und als hoch verschleißfestes und korrosionsbeständiges Material“, berichtet Yongjae Lee von der Yonsei-Universität in Südkorea. Ein Team um Lee hat den neuen, extrem schnellen Weg zur Synthese von Eisennitriden entdeckt, über den die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im „Journal of Physical Chemistry Letters“ berichten.

In ihrer Arbeit verfolgten die Forscherinnen und Forscher die Reaktion einer Eisenfolie mit Stickstoff bei 50.000-fachem Atmosphärendruck und unter Beschuss mit den intensiven Röntgenblitzen des European XFEL. Den Hochdruck erzeugte eine Diamantstempelzelle, in der ultraharte Stempel aus Diamant die Probe während der Experimente extrem zusammendrücken, die Röntgenblitze heizten das Material extrem auf. „Wir schätzen, dass die Probe je nach Leistung und Wiederholrate der Röntgenpulse bis zu 5400 Grad Celsius heiß geworden ist“, sagt Hauptautorin Huijeong Hwang. „Die Röntgenpulse dienen dabei sowohl zur Initiierung als auch zur Untersuchung der chemischen Reaktion.“

Unter den richtigen Pulsbedingungen bildete sich ein Eisennitrid mit der Bezeichnung ε-Fe3N1.33. „Das Produkt, homogenes Eisennitrid, entstand in einigen Hunderten Nanosekunden, was höchst ungewöhnlich ist“, betont Ko-Autor und Hochdruckphysiker Hanns-Peter Liermann von DESY. „Normalerweise diffundiert atomarer Stickstoff in festes Eisen mit Reaktionszeiten von Hunderten Sekunden, um Eisennitridschichten zu bilden, und in beheizten Diamantstempelzellen bildet sich Di-Eisennitrid Fe2N auf ähnlichen Zeitskalen.“ Eine Nanosekunde ist eine milliardstel Sekunde. Der neue Weg ist demnach also etwa eine Milliarde Mal schneller.

Die Röntgenpulse des European XFEL kommen in einem Abstand von 443 milliardstel Sekunden (Nanosekunden) und heizen Eisen und Stickstoff in der Diamantstempelzelle (grün) so schnell so stark auf, dass in einigen Hundert Nanosekunden Eisennitrid entsteht (unten rechts). Bild: Yonsei-Universität, Huijeong Hwang
„Ein Puls enthält etwa hundert Milliarden Photonen, und die kumulierte Energie über alle Pulse, die die Probe erreichten und die Reaktion auslösten, betrug etwa drei Millijoule“, rechnet Liermann vor. Das Team konnte mit den Experimenten zeigen, dass intensive Röntgenlaserpulse die nötige Energie liefern können, um bestimmte chemische Reaktionen auszulösen, und dass sich die Pulse in „Pump-Probe“-Experimenten verwenden lassen, um Reaktionen von Festkörpern in umgebenden Medien unter Hochdruck zu verfolgen.

„Die systematische Erforschung der chemischen Reaktivität bei extremen Drücken über ein breites Spektrum von Reaktanten mit unterschiedlichen Ordnungszahlen und Temperaturen wird voraussichtlich zur Entdeckung von bisher unbekannten Produktionswegen führen, nicht nur für industriell relevante Verbindungen, sondern auch für Verbindungen, die zum Beispiel für das Verständnis der Chemie astrophysikalischer Objekte und Prozesse von Bedeutung sind“, erklärt Mitautor Valerio Cerantola, lokaler Kontakt für das Experiment und Wissenschaftler in der HED-Gruppe bei European XFEL.

Das Experiment ist nur eines aus einer Serie neuer statischer Hochdruckexperimente, die eine internationale Gruppe von mehr als 40 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus 22 Institutionen unter der Leitung von Stewart McWilliams von der Universität Edinburgh am European XFEL durchgeführt hat. Mit diesen Experimenten hat das Team den neuen Aufbau für statische Hochdruckexperimente mit Diamantstempelzellen in Betrieb genommen, der vom Konsortium „Helmholtz International Beamline for Extreme Fields (HIBEF)“ speziell für das High Energy Density (HED) Instrument am European XFEL entwickelt worden war, um extreme Druck- und Temperaturbedingungen mit der beispiellosen Zeitauflösung des Röntgenlasers zu erforschen. Die Gruppe beschreibt die Konzepte für die Forschung mit diesem neuartigen Versuchsaufbau im „Journal of Synchrotron Radiation“.

DESY gehört zu den Gründungsinstitutionen von HIBEF, das vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) geleitet wird. Der Röntgenlaser European XFEL in der Metropolregion Hamburg ist eine internationale Forschungseinrichtung und wird vom größten Linearbeschleuniger der Welt angetrieben. Die unterirdische Anlage beginnt bei DESY und führt bis ins 3,4 Kilometer entfernte Schenefeld in Schleswig-Holstein. DESY ist der Hauptgesellschafter der gemeinnützigen European XFEL GmbH. Derzeit haben 12 Länder die European-XFEL-Konvention unterzeichnet: Dänemark, Frankreich, Deutschland, Italien, Polen, Russland, Schweden, Schweiz, Slowakei, Spanien, Ungarn und das Vereinigte Königreich.

 

Fachpublikationen:

X‐ray Free Electron Laser-Induced Synthesis of ε‐Iron Nitride at High Pressures; Huijeong Hwang et al.; „Journal of Physical Chemistry Letters“, 2021; DOI: 10.1021/acs.jpclett.1c00150

Novel experimental setup for megahertz X-ray diffraction in a diamond anvil cell at the High Energy Density (HED) instrument of the European X-ray Free-Electron Laser (EuXFEL); Hanns-Peter Liermann et al.; „Journal of Synchrotron Radiation“, 2021; DOI: 10.1107/S1600577521002551