DESY News: Können Radioteleskope Gravitationswellen nachweisen?

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14.01.2021
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Können Radioteleskope Gravitationswellen nachweisen?

Die Entdeckung von Gravitationswellen vor einigen Jahren hat neue Möglichkeiten eröffnet unserem Universum einige seiner Geheimnisse zu entlocken. Allerdings sind hochspezialisierte und sehr präzise Instrumente notwendig, um diese kaum wahrnehmbaren Wellen zu nachzuweisen. Eine theoretische Physikerin von CERN und ihr DESY-Kollege schlagen jetzt einen neuen Ansatz vor, um Gravitationswellen mit einer ganz anderen Art von Instrumenten nachzuweisen: Nach ihren Berechnungen, die sie heute im Fachblatt Physical Review Letters vorstellen, sollten sich Gravitationswellen auf ihrer Reise durch das Universum teilweise in Radiowellen umgewandelt haben, die von einer zukünftigen Generation von Radioteleskopen vermessen werden könnten.

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Vielleicht könnten zukünftige Radioteleskope wie das geplante Square-Kilometre-Array (SKA) Gravitationswellen mit Hilfe von Radiosignalen nachweisen (Bild: CC BY-SA 3.0, Linkhttps://en.wikipedia.org/wiki/Square_Kilometre_Array#/media/File:SKA_dishes_big.jpg )
Seit Jahrtausenden schauen die Menschen in den Nachthimmel und versuchen, den Geheimnissen des Kosmos auf die Spur zu kommen. Die letzten Jahrhunderte und Jahrzehnte haben dabei enorme Fortschritte beim Bau immer besserer Teleskope gebracht, die quasi jeden Lichtblitz über einen breiten Frequenzbereich einfangen. Diese Entwicklung hat das Verständnis in der Astrophysik, der Kosmologie und auch in der Teilchenphysik deutlich vorangebracht.

Doch diese Methode hat ihre Grenzen. Um immer weiter in die Tiefen des Universums vorzudringen, fangen Teleskope Licht ein das Milliarden von Jahren gebraucht hat, um zu uns zu gelangen – man schaut also in die kosmische Vergangenheit. Aber in der sehr fernen Vergangenheit, in der Frühphase des Universums bestand dieses sehr wahrscheinlich aus einer heißen und dichten „Suppe“ aus Elementarteilchen. Dieses häufig als Ursuppe bezeichnete Gemisch war für Photonen, also Lichtteilchen, nicht durchlässig. Um weiter in die Vergangenheit des Universums zu schauen, muss man daher mit Botenteilchen arbeiten, die schwächer wechselwirken als Photonen. Sie konnten sich frei durch diese heiße, dichte Ursuppe bewegen und können so Einblicke in das sehr frühe Universum geben. Neutrinos sind ein Beispiel für solche Teilchen, doch seit kurzem kann die Wissenschaft auch auf eine neue Art von Botenteilchen zurückgreifen: Gravitationswellen.

Bereits vor mehr als einhundert Jahren hat Einstein Gravitationswellen vorhergesagt. Die LIGO/Virgo-Kollaboration konnte 2015 erstmals ein Gravitationswellensignal nachweisen, das als Schockwelle interpretiert wurde, die nach der Verschmelzung zweier Schwarzer Löcher vor etwa einer Milliarde Jahren die Raumzeit erschütterte. Andere Ereignisse, die weiter in unserer kosmischen Vergangenheit liegen, könnten ähnliche Signale erzeugt haben. Insbesondere die heiße, dichte Ursuppe bietet eine ideale Umgebung für gewaltige, höchstenergetische Prozesse. Sie könnten Wellen in der Raumzeit erzeugt haben, die man heute nachweisen könnte.

Valerie Domcke und Camilo Garcia Cely schlagen nun eine neuartige Nachweismethode für solche Raum-Zeit-Kräuselungen vor. Ihre Idee beruht auf einem Phänomen, bei dem sich Gravitationswellen, deren Frequenz im Bereich von Megahertz (MHz) oder Gigahertz (GHz) liegt, in gewöhnliche Radiowellen umwandeln können, wie sie zum Beispiel von Mobiltelefonen und Mikrowellenherden ausgesendet werden. Diese Umwandlung erfordert die Gegenwart von Magnetfeldern. Die Umwandlungswahrscheinlichkeit ist winzig klein, aber die Theoretiker gleichen dies durch einen riesigen Detektor aus: das Universum. „Diese Umwandlung könnte zu einer Verzerrung des kosmischer Mikrowellenhintergrunds (CMB) führen, der oft als das ´Echo des Urknalls´ bezeichnet wird, und der so als Detektor für Gravitationswellenquellen im MHz- bis GHz-Bereich dienen kann“, sagt Camilo Garcia Cely, Alexander-von-Humboldt-Stipendiat in der DESY-Theoriegruppe.

Magnetfelder sind weit verbreitet im Universum; man nimmt an, dass sie das intergalaktische Medium durchdringen. Beobachtungen von Blazaren und des kosmischen Mikrowellenhintergrunds liefern untere und obere Grenzen für die Stärke dieser Felder. Daraus wiederum können untere und obere Grenzen für die Intensität von Radiosignalen bestimmt werden, die eine Gravitationswelle einer bestimmten Stärke erzeugen könnte. „Nach diesen Signalen kann man mit sehr empfindlichen Radioteleskopen, wie dem Ballonexperiment ARCADE II oder dem EDGES-Experiment in Westaustralien, suchen“, sagt Valerie Domcke, Wissenschaftlerin am CERN.

Das Team hat die Ergebnisse von ARCADE II und EDGES reinterpretiert, um experimentelle Grenzen für kosmische Gravitationswellen abzuleiten. Bisher wurde keine signifikante Verzerrung des CMB-Spektrums der Ursuppe beobachtet, was zu oberen Grenzen für die Stärke kosmischer Gravitationswellen führt. Für die schwächsten möglichen Magnetfelder, die man im Universum erwartet, sind diese Grenzen vergleichbar mit Resultaten aus Laborexperimenten. Für die stärksten Magnetfelder, die mit den CMB-Beobachtungen kompatibel sind, sind die neuen experimentellen Grenzen jedoch um etliche Größenordnungen strenger.

Um die gewaltigen Prozesse im sehr frühen Universum mit Radioteleskopen zu untersuchen, braucht es jedoch noch deutliche Fortschritte in der Empfindlichkeit der Geräte sowie der Datenanalyse. Zusammen mit in Aussicht stehenden leistungsfähigeren Teleskopen ist der neue Ansatz jedoch ein vielversprechender Weg.

 

Originalveröffentlichung

Potential of radio telescopes as high-frequency gravitational wave detectors; Valerie Domcke and Camilo Garcia-Cely; Phys. Rev. Lett. 126, 021104