DESY News: Zepto-Sekunden: Neuer Weltrekord in Kurzzeit-Messung an PETRA III

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16.10.2020
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Zepto-Sekunden: Neuer Weltrekord in Kurzzeit-Messung an PETRA III

Physiker aus Frankfurt, Hamburg und Berlin verfolgen Ausbreitung von Licht im Wasserstoff-Molekül

Im weltweiten Wettlauf um die Messung der kürzesten Zeitspanne liegt jetzt ein deutsches Team vorn: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Goethe-Universität Frankfurt, von DESY und des Fritz-Haber-Instituts in Berlin haben an DESYs Forschungslichtquelle PETRA III erstmals einen Vorgang vermessen, der im Bereich von Zeptosekunden liegt: die Ausbreitung von Licht innerhalb eines Moleküls. Eine Zeptosekunde ist ein Billionstel einer Milliardstel Sekunde (10-21 Sekunden). Über ihre Experimente berichtet die Gruppe heute im Fachmagazin Science.

Schematische Darstellung der Zeptosekunden-Messung. Das Photon (gelb, von links kommend) erzeugt aus der Elektronenwolke (grau) des Wasserstoffmoleküls (rot: Atomkerne) heraus Elektronenwellen, die interferieren (Interferenzmuster: violett-weiß). Das Interferenzmuster ist ein wenig nach rechts verzerrt, woraus sich ausrechnen lässt, wie lange das Photon von einem Atom zum anderen benötigt hat (Bild: S. Grundmann/Uni Frankfurt).
Für die Vermessung der Geschwindigkeit, mit der Moleküle schwingen, erhielt der ägyptische Chemiker Ahmed Zewail 1999 den Nobelpreis. Mithilfe von ultrakurzen Laserblitzen begründete er die Femtochemie: Wenn sich chemische Bindungen bilden und zerbrechen, geschieht das im Zeitbereich von Femtosekunden. Eine Femtosekunde (10-15 s) entspricht 0,000 000 000 000 001 Sekunden oder einer Millionstel Milliardstel Sekunde.

Ein Forschungsteam um Reinhard Dörner (Goethe-Universität Frankfurt) hat jetzt erstmals einen Vorgang untersucht, der noch um Größenordnungen kürzer ist als Femtosekunden: Sie vermaßen, wie lange es dauert, bis ein Lichtteilchen (Photon) ein Wasserstoffmolekül durchquert hat. Ihr Ergebnis: etwa 247 Zeptosekunden bei der durchschnittlichen Bindungslänge des Moleküls. Dies ist die kürzeste Zeitspanne, die bisher gemessen werden konnte.

Die Zeitmessung nahmen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an Wasserstoff-Molekülen (H2) vor, die sie mit Röntgenlicht aus PETRA III bestrahlten. Die Energie der Röntgenstrahlen stellten sie dabei so ein, dass ein Photon genügte, um beide Elektronen, die das Wasserstoff-Molekül enthält, kurz hintereinander aus dem Molekül herauszuschlagen.

Elektronen verhalten sich gleichzeitig wie Teilchen und Wellen, und so entstanden beim Herausschlagen des ersten Elektrons kurz hintereinander erst bei dem einen und dann bei dem zweiten Atom des Wasserstoffmoleküls Elektronenwellen, die sich überlagerten.

Dabei wirkte das Photon wie ein flacher Stein, den man zweimal über das Wasser hüpfen lässt: Die Wellen der ersten und zweiten Wasserberührung löschen sich gegenseitig aus, wo ein Wellental auf einen Wellenberg trifft: Es entsteht ein sogenanntes Interferenzmuster.

Das Interferenzmuster des ersten herausgeschlagenen Elektrons vermaßen die Wissenschaftler mit einem speziellen Reaktionsmikroskop, das ultraschnelle Reaktionsprozesse von Atomen und Molekülen sichtbar machen kann. Gleichzeitig mit dem Interferenzmuster konnte mit diesem Mikroskop bestimmt werden, in welcher Orientierung sich das Wasserstoff-Molekül befunden hatte. Hier machten es sich die Forscher zunutze, dass das zweite Elektron ebenfalls das Wasserstoffmolekül verließ und so die verbliebenen Wasserstoffkerne auseinanderflogen und detektiert werden konnten. „Das wird PETRA III sicher gefallen: Der neue Weltrekord in Zeit-Auflösung liegt nicht mehr bei Lasern oder Freie-Elektronen-Lasern, sondern dank unseres Reaktionsmikroskops bei der besten Synchrotronlichtquelle der Welt“, schwärmt Florian Trinter, der bei DESY und an der Universität Frankfurt forscht.

„Da wir die räumliche Orientierung des Wasserstoffmoleküls kannten, konnten wir aus der Interferenz der beiden Elektronenwellen sehr genau errechnen, wann das Photon das erste und wann es das zweite Wasserstoffatom erreicht hatte“, erklärt Sven Grundmann (Uni Frankfurt), auf dessen Doktorarbeit der wissenschaftliche Aufsatz in Science beruht. „Und das sind bis zu 247 Zeptosekunden, je nachdem, wie weit die beiden Atome im Molekül gerade aus Sicht des Lichts voneinander entfernt waren.“

In diesen Experimenten konnte das Team erstmals beobachten, dass die Elektronenhülle in einem Molekül nicht überall gleichzeitig auf Licht reagiert. Die Zeitverzögerung kommt dadurch zustande, dass sich die Information im Molekül nur mit Lichtgeschwindigkeit ausbreitet.

 

Originalveröffentlichung:

Zeptosecond Birth Time Delay in Molecular Photoionization; Sven Grundmann, Daniel Trabert, Kilian Fehre, Nico Strenger, Andreas Pier, Leon Kaiser, Max Kircher, Miriam Weller, Sebastian Eckart, Lothar Ph. H. Schmidt, Florian Trinter, Till Jahnke, Markus S. Schöffler, Reinhard Dörner; Science