DESY News: IceCube-Ausbau soll Blick ins extreme Universum revolutionieren

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09.09.2020
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IceCube-Ausbau soll Blick ins extreme Universum revolutionieren

Forscher legen White Paper für Erweiterung des weltgrößten Neutrinoteleskops in der Antarktis vor

Mit bahnbrechenden Beobachtungen hat das Neutrinoteleskop IceCube die Neutrinoastronomie als neue Disziplin in der Erforschung des Weltalls etabliert. Sie bietet einen völlig neuen Zugang zu energiereichen Prozessen im Universum, unabhängig von der Beobachtung elektromagnetischer Strahlung. Um das Potenzial der neuen Technik voll auszuschöpfen, plant die internationale IceCube-Gemeinschaft nun eine umfangreiche Erweiterung des unterirdischen Neutrinodetektors in der Antarktis. In einem White Paper, das zur Veröffentlichung im Fachblatt „Journal of Physics G“ eingereicht worden ist, beschreiben die Forscherinnen und Forscher den wissenschaftlichen Nutzen und das technische Design der geplanten Erweiterung IceCube Generation 2.

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IceCube späht nach dem Licht der Teilchenschauer, die Neutrinokollisionen mit dem unterirdischen Eis auslösen. Bild: DESY, Science Communication Lab
„In den IceCube-Daten aus den ersten zehn Jahren haben wir erste Quellen hochenergetischer kosmischer Neutrinos gefunden und damit eine neue Sicht auf die energiereichsten Prozesse und Objekte im Universum gewonnen“, erläutert Marek Kowalski, IceCube-Gen2-Koordinator bei DESY. „Das ist aber erst die Spitze des Eisbergs, wenn auch sehr ermutigend! Mit IceCube-Gen2 wollen wir das Neutrinoastronomie-Fenster zum Hochenergie-Universum vollständig aufstoßen und die Rolle der hochenergetischen Prozesse aufklären, die unser Universum formen.“

IceCube besteht gegenwärtig aus 5160 empfindlichen optischen Detektoren, die an 86 Stahltrossen bis zu 2,5 Kilometer tief ins ewige Eis der Antarktis eingeschmolzen sind. Diese digitalen optischen Module (DOMs) spähen in einem Kubikkilometer Eis nach dem schwachen Flimmern, das eine der seltenen Neutrino-Kollisionen dort auslöst. Auf diese Weise haben die Forscherinnen und Forscher extrem energiereiche Neutrinos aus den Tiefen des Kosmos identifiziert, die von Phänomenen wie Schwarzen Löchern, explodierenden Sonnen und rasant rotierenden Neutronensternen stammen. Die Erweiterung zu IceCube-Gen2 soll die Nachweisrate auf das Zehnfache steigern und die Empfindlichkeit für Neutrino-Punktquellen um den Faktor 5 erhöhen.

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Schema der geplanten Erweiterung zu IceCube Generation 2. Bild: IceCube
Dafür sollen 120 zusätzliche Stahltrossen installiert werden, die im Abstand von jeweils etwa 240 Metern in einem sonnenblumenähnlichen Muster um IceCube herum angeordnet sind. Dabei sollen neue DOMs zum Einsatz kommen, die fast dreimal so viele Lichtteilchen (Photonen) sammeln können wie die derzeitigen IceCube-DOMs. Sie werden in einem Abstand von 16 Metern auf den Trossen montiert und in einer Tiefe zwischen 1,3 und 2,6 Kilometern unter der Oberfläche angebracht, so dass sich ein Gesamtdetektorvolumen von fast acht Kubikkilometern ergibt. Die Fertigstellung ist für 2033 geplant, der Bau wird rund 300 Millionen Euro kosten.

Im Zentrum des IceCube-Detektors werden zudem gegenwärtig sieben neue Trossen mit neuen DOMs installiert. Dieses DeepCore getaufte Projekt wird von der US-amerikanischen National Science Foundation NSF und der Helmholtz-Gemeinschaft finanziert. „In den vergangenen 30 Jahren haben wir eine aufsehenerregende Entwicklung der Neutrino-Beobachtungen erlebt, von den ersten Neutrino-Detektionen tief in Gletschereisschichten bis zur lang ersehnten Entdeckung hochenergetischer astrophysikalischer Neutrinos mit IceCube“, unterstreicht IceCube-Sprecher Darren Grant von der Michigan State University. „IceCube-Gen2 bietet die Chance, auf vorhandenem Fachwissen und auf technologischen Fortschritten aufzubauen, um von der Ära der Entdeckung zur Präzisionsneutrinoastronomie überzugehen.“

Das IceCube-Neutrinoobservatorium befindet sich an der Amundsen-Scott-Südpolstation. Bild: IceCube/NSF, Sven Lidstrom
An der Oberfläche soll IceCube-Gen2 zudem durch Detektoren für Radiowellen erweitert werden, die eine Fläche von insgesamt etwa 500 Quadratkilometern abdecken. Jede Detektorstation besteht dabei aus drei Radioantennen. Diese Antennen sollen die von den Teilchenschauern im Eis erzeugte Radiostrahlung messen und es so ermöglichen, die Energie des Schauers und die Ankunftsrichtung des ursprünglichen Neutrinos zu rekonstruieren. „Mit der Radiotechnik nimmt IceCube ein ergänzendes Werkzeug zur Beobachtung bei den allerhöchsten Energien in sein Repertoire auf, und ich freue mich auf zahlreiche Premieren in diesem Neuland“, betont Radiodetektorexpertin Anna Nelles von DESY.

IceCube-Gen2 wird auch die Landkarte der sich gerade entwickelnden Multimessenger-Astronomie verändern. Darunter verstehen Astronomen die Beobachtung kosmischer Phänomene mit Hilfe unabhängiger Boten wie Licht, Neutrinos und Gravitationswellen. Der erweiterte IceCube-Detektor fügt sich in ein Netz anderer groß angelegter Observatorien ein, die Gammastrahlung, Gravitationswellen, Kosmische Strahlung und Neutrinos untersuchen. IceCube-Gen2 soll zudem den hochenergetischen Neutrinohimmel bei bislang unerreichten Energien von Exa-Elektronenvolt (Trillionen Elektronenvolt) beobachten, die Quellen und die Ausbreitung der energiereichsten Teilchen im Universum aufdecken und die Untersuchung kosmischer Teilchenbeschleuniger mit verschiedenen Botenteilchen ermöglichen.

Diese Möglichkeiten werden nach Ansicht der Forscherinnen und Forscher die kommende Ära der Multimessenger-Astronomie prägen und das Verständnis vom hochenergetischen Universum verändern. „Neutrinos sind nur ein neuer Zugang zu der Palette von Instrumenten, die uns bei der Erforschung des Kosmos helfen“, sagt Olga Botner, Leiterin der IceCube-Gruppe an der Universität Uppsala in Schweden. „Während IceCube ein neues Fenster zum energiereichen Universum geöffnet hat, werden wir mit IceCube-Gen2 tiefer ins All schauen, mit mehr Präzision und über einen größeren Energiebereich. IceCube-Gen2 wird in der Ära der Multimessenger-Astronomie eine wesentliche Rolle spielen und den Weg für neue, bahnbrechende Entdeckungen ebnen.“

Die IceCube-Gemeinde hat mit dem Bau des bestehenden Neutrinoteleskops bereits die Machbarkeit des Vorhabens bewiesen und gezeigt, dass sich ein solches Großprojekt auch am Südpol, einer der unwirtlichsten Gegenden der Welt, zeit- und budgetgerecht umsetzen lässt. „Die Veröffentlichung eines White Papers ist ein wichtiger Meilenstein für jedes zukünftige Forschungsprojekt“, sagt Markus Ackermann, Leiter der IceCube-Gruppe bei DESY. „Mit diesem Dokument wollen wir unseren Enthusiasmus bezüglich des wissenschaftlichen Potenzials von IceCube-Gen2 mit einer breiteren Wissenschaftsgemeinschaft teilen und einen Weg zur Realisierung dieses spannenden Projekts skizzieren.“

Das IceCube-Neutrinoteleskop liegt im ewigen Eis der Antarktis. Animation: DESY, Science Communication Lab



Originalveröffentlichung: 
IceCube-Gen2: The Window to the Extreme Universe; The IceCube-Gen2 Collaboration: M. G. Aartsen et al.; Zur Veröffentlichung eingereicht beim „Journal of Physics G“; https://arxiv.org/abs/2008.04323