DESY News: Was Spinnen an der Decke hält

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04.02.2019
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Was Spinnen an der Decke hält

DESYs Röntgenquelle PETRA III zeigt Details der Haftstrukturen von Spinnenbeinen

Problemlos klettern Jagdspinnen an senkrechten Oberflächen oder bewegen sich über Kopf an der Decke. Den nötigen Halt geben ihnen rund eintausend winzige Hafthärchen am Ende ihrer Beine. Diese borstenartigen Haare, die sogenannten Setae, bestehen, wie der Spinnenpanzer, vor allem aus Proteinen und dem Vielfachzucker Chitin. Um mehr über ihre Feinstruktur herauszufinden, hat ein interdisziplinäres Forschungsteam aus Biologie und Physik der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) und des Helmholtz-Zentrums Geesthacht (HZG) den molekularen Aufbau dieser Härchen unter anderem an DESYs Röntgenlichtquelle PETRA III genauer untersucht. Mit dem hochenergetischen Röntgenlicht fanden sie heraus, dass die Chitin-Moleküle der Setae speziell angeordnet sind, damit sie den Belastungen beim ständigen Anhaften und Loslösen standhalten. Ihre Ergebnisse könnten die Grundlage für besonders belastbare zukünftige Materialien sein. Erschienen sind sie im „Journal of the Royal Society Interface“.

Um herauszufinden, warum sich die Jagdspinne Cupiennius salei so gut an senkrechten Oberflächen halten kann, untersucht das interdisziplinäre Forschungsteam die winzigen Hafthaare auf den Spinnenbeinen. Bild: Universität Kiel, Julia Siekmann Linkhttps://www.uni-kiel.de/de/detailansicht/news/022-spinnen/#
Beim Laufen und Klettern wirken große Kräfte auf die winzigen, nur wenige hundert Nanometer großen Kontaktplättchen der Spinnenbeine. Diese Haftstrukturen halten der Beanspruchung mühelos stand. „Künstlich hergestellte Materialien gehen dagegen häufig kaputt“, stellt Stanislav N. Gorb vom Zoologischen Institut der CAU fest. „Wir wollen deshalb herausfinden, warum Spinnenbeine so stabil sind.“ In seiner Arbeitsgruppe „Funktionelle Morphologie und Biomechanik“ untersucht der Zoologe biologische Mechanismen und wie sie künstlich nachgebildet werden könnten. Gorb und sein Mitarbeiter, der Zoologe und Biomechaniker Clemens Schaber, vermuteten, das Geheimnis der stabilen Spinnenbeine liege im molekularen Aufbau der winzigen Haare auf ihrer Oberfläche. Mit ihren Dimensionen im unteren Mikrometerbereich sind sie jedoch zu klein, um deren Materialzusammensetzung mit gängigen Methoden zu untersuchen.

Um ihre These zu überprüfen, arbeiteten die Kieler Wissenschaftler zusammen mit Martin Müller vom Institut für Experimentelle und Angewandte Physik, Leiter des Bereichs Werkstoffphysik am HZG. Gemeinsam mit seinem Team und Doktorandin Silja Flenner untersuchten sie die Hafthärchen der Spinnenart Cupiennius salei mit Methoden der ortsaufgelösten Röntgenbeugung an der European Synchrotron Radiation Facility (ESRF) im französischen Grenoble und an DESYs Röntgenlichtquelle PETRA III in Hamburg. Diese Speicherringe gehören zu den besten und leistungsfähigsten Röntgenstrahlenquellen weltweit.

Die Streuung des Röntgenstrahls lässt Rückschlüsse auf die Chitinverteilung in den Hafthärchen zu. Die rote Farbe zeigt einen hohen Gehalt bis in die Spitze an. Bild: Schaber et al., Journal of the Royal Society Interface, CC BY 4.0 Linkhttps://www.uni-kiel.de/de/detailansicht/news/022-spinnen/#
Dort beschoss das Forschungsteam das Spinnenmaterial mit Röntgenstrahlung. Je nachdem, wie diese Strahlung am Material gestreut wird, lassen sich nanometergenaue Rückschlüsse auf die Zusammensetzung des Materials ziehen. „Wir fanden heraus, dass die Chitinmoleküle bis in die Spitzen der winzigen Hafthaare an den Spinnenbeinen vorkommen. Über ihre Anordnung in einer parallel verlaufenden Faserstruktur verstärken sie die Beine“, fasst Müller die Untersuchungen zusammen.

„Außerdem ist bemerkenswert, dass die Chitin-Fasern in anderen Teilen der Spinnenbeine in unterschiedlichen Richtungen verlaufen. Diese Struktur, ähnlich wie bei Sperrholz, macht das Spinnenbein so stabil“, erklärt Schaber, Erstautor der Studie. Die parallele Ausrichtung der Faser-Moleküle in den Hafthärchen hingegen folgt den Zug-und Druckkräften, die auf sie wirken. So fängt sie die Belastungen auf, die beim Anhaften und Ablösen der Spinnenbeine auftreten.

Ähnliche Hafthärchen finden sich unter anderem bei Geckos, einer Echsenfamilie. Das Forschungsteam vermutet dahinter deshalb ein zentrales, biologisches Prinzip, um auf verschiedenen Untergründen haften zu können. Für die Entwicklung neuer Materialien mit hoher Belastbarkeit könnte das wegweisend sein. Intelligente Molekülanordnung wie die in den Chitin-Fasern künstlich auf Nanoebene nachzubilden, ist allerdings eine Herausforderung für die Bionikforschung. „Die Natur verwendet andere Methoden: Ein biologisches Material und seine Struktur wachsen parallel, während das in der künstlichen Herstellung nacheinander ablaufende Schritte sind“, erläutert Gorb. Neue Technologien der additiven Fertigung wie 3D-Druck auf der Nanoskala könnten eines Tages womöglich zur Entwicklung völlig neuartiger von der Natur inspirierter Materialien beitragen.

 

Originalarbeit:
Hierarchical architecture of spider attachment setae reconstructed from scanning nanofocus X-ray diffraction data; Clemens F. Schaber, Silja Flenner, Anja Glisovic, Igor Krasnov, Martin Rosenthal, Hergen Stieglitz, Christina Krywka, Manfred Burghammer, Martin Müller, Stanislav N. Gorb; „Journal of the Royal Society Interface“, 2019; DOI: 10.1098/rsif.2018.0692

 

Quelle: Universität Kiel