19.09.2012

Bundeskanzlerin Merkel besucht DESY

Symbolische Taufe der PETRA III-Experimentierhalle auf den Namen des Nobelpreisträgers Max von Laue

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat am Mittwoch das Forschungszentrum DESY in Hamburg besucht und den einzigartigen Nano-Bio-Forschungscampus besichtigt, der zurzeit bei DESY entsteht. Gemeinsam mit Hamburgs Erstem Bürgermeister Olaf Scholz (SPD), der Chemie-Nobelpreisträgerin Ada Yonath und DESY-Direktor Helmut Dosch taufte Merkel die Experimentierhalle der weltweit brillantesten Röntgenlichtquelle PETRA III symbolisch auf den Namen des Physikpioniers Max von Laue. Von Laue hatte vor genau 100 Jahren die Beugung von Röntgenstrahlen an Kristallen entdeckt und damit das Tor zur Erkundung des Nanokosmos aufgestoßen. Der interdisziplinäre Nano-Bio-Forschungscampus, der rund um PETRA III entsteht, führt diese Forschung ins 21. Jahrhundert.
 

Bundeskanzlerin Angela Merkel, DESY-Direktor Helmut Dosch, Nobelpreisträgerin Ada Yonath und Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz enthüllen den Namenszug Max von Laues an der Experimentierhalle.

PETRA III sei „ein im wahrsten Sinne brillantes Beispiel“ für die Weiterentwicklung des Verfahrens von Laues, betonte Dr. Angela Merkel. „PETRA III erweitert in beeindruckender Weise die Forschungs- und Erkenntniswelt, für die Max von Laue vor 100 Jahren den Grundstein gelegt hat.“ DESY verstehe es dabei hervorragend, den Einsatz von Großgeräten wie PETRA III auf wichtige Fragen der Menschheit auszurichten und damit zum Nutzen jedes Einzelnen. „Deutschland braucht Spitzenforschung, so wie sie hier geleistet wird. Deutschland braucht Ihre Erkenntnisse und Ideen für Technologien und Märkte von morgen“, unterstrich Merkel.
 
Die von Max von Laue im Jahr 1912 entdeckte Röntgenstrukturanalyse hat sich zu einem der wichtigsten Werkzeuge in der Nano- und Bioforschung entwickelt. Sie erlaubt, die molekulare und atomare Struktur der verschiedensten Materialien zu entschlüsseln. Etliche der heutigen Technologien und modernen Werkstoffe wären ohne dieses Wissen nicht denkbar. So liefert von Laues Methode unter anderem Informationen für die Entwicklung effizienterer Solarzellen, besserer Datenspeicher und neuer Arzneimittel.
 
„Unsere Großgeräte bieten uns einzigartige Einblicke in den Nanokosmos“, sagte der Vorsitzende des DESY-Direktoriums Prof. Helmut Dosch. „Diese Supermikroskope enthüllen beispielsweise die molekularen Enterhaken von Krankheitserregern, zeigen uns den Ablauf chemischer Reaktionen und erlauben die Untersuchung neuer Werkstoffe auf atomarer Ebene. Mit diesem Wissen können Forscher neue Medikamente entwickeln, bessere Katalysatoren bauen und maßgeschneiderte Materialien für die Energieversorgung und die Mobilität von morgen entwerfen.“
 
Die Untersuchungsmethode selbst wurde vor allem durch die Nutzung sogenannter Synchrotronstrahlungsquellen, die auf Teilchenbeschleunigern basieren, immer weiter perfektioniert. Zur Erzeugung dieses hochbrillanten Röntgenlichts werden heute große Anlagen verwendet wie DESYs Freie-Elektronen-Laser FLASH, der Speicherring PETRA III oder der weltbeste Röntgenlaser European XFEL, der zurzeit zwischen Hamburg-Bahrenfeld und Schenefeld in Schleswig-Holstein gebaut wird und dessen Hauptgesellschafter DESY ist. Diese Quellen liefern milliardenfach intensiveres Licht als herkömmliche Röntgenröhren und bilden eine Art Supermikroskope für die Nanowelt. Sie erlauben nicht nur die Entschlüsselung der molekularen und atomaren Struktur von Werkstoffen, Biomolekülen und Nanomaterialien, sondern ermöglichen auch die Untersuchung dynamischer Prozesse im Nanokosmos wie etwa das Filmen chemischer Reaktionen. Nur mit diesen Großgeräten lässt sich Strahlung mit der nötigen Energie und Intensität für diese Experimente erreichen.
 
„Die einzigartigen Eigenschaften unserer Lichtquellen ist für eine Vielfalt von Forschungsdisziplinen attraktiv. Vor allem die Zusammenarbeit und der Austausch dieser verschiedenen Disziplinen beflügelt die Forschung der nächsten Generation“, sagte DESYs Forschungsdirektor Prof. Edgar Weckert. „DESY ist zu einem weltweiten Magnet für die Forschung mit hochintensivem Röntgenlicht geworden.“
 
In DESYs beschleunigerbasierten Lichtquellen werden elektrisch geladene Elementarteilchen namens Elektronen auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt und mit Hilfe spezieller Magnete dazu gebracht, ein scharf gebündeltes helles Licht auszusenden. Je kürzer die Wellenlänge dieses Lichts, desto feinere Details lassen sich damit abbilden. Röntgenstrahlung ist besonders kurzwelliges Licht. Und je höher die Leuchtstärke dieser Strahlung, desto kürzer werden die Belichtungszeiten – und desto schnellere Prozesse lassen sich damit erfassen. Während Speicherringe wie PETRA III mit besonders kurzwelligem Licht tief auch in härteste Materialien hineinschauen können, sind die Röntgenlaser mit ihren kurzen und ultrahellen Lichtblitzen besonders für die Beobachtung von schnellen Prozessen wie chemischen Reaktionen geeignet.
 
Rund um diese Lichtquellen, die sich in dieser Kombination nirgendwo sonst auf der Welt finden, gruppieren sich mehrere neue Institute und Einrichtungen wie das jüngst fertiggestellte Center for Free-Electron Laser Science CFEL, das DESY NanoLab, das 2014 seine Tore öffnen soll, oder das Zentrum für strukturelle Systembiologie CSSB, für das demnächst der erste Spatenstich erfolgen wird. Von großer Bedeutung sind dabei Kooperationen mit anderen Forschungsinstitutionen. So ist das CFEL, das sich auf Anwendung und Weiterentwicklung von Freie-Elektronen-Lasern spezialisiert, ein Gemeinschaftsunternehmen von DESY, der Max-Planck-Gesellschaft und der Universität Hamburg. Am CSSB sind insgesamt zehn Partner beteiligt. Die neuen Einrichtungen ergänzen vorhandene Institutionen auf dem DESY-Campus wie die Hamburgische Niederlassung des Europäischen Labors für Molekularbiologie EMBL, die Außenstelle des Helmholtz-Zentrums Geesthacht für Materialforschung und die Institute der Universität Hamburg.
 
„Auf dem Science Campus Hamburg Bahrenfeld entsteht derzeit ein weltweit einzigartiges Strukturforschungszentrum. Dort kooperieren die Universität Hamburg, das Helmholtz-Zentrum DESY, Max-Planck-Arbeitsgruppen und weitere außeruniversitäre Partner“, betonte Hamburgs Erster Bürgermeister Olaf Scholz. „Ein einzigartig breites Spektrum an Lichtquellen bietet eine Forschungsinfrastruktur, die weltweit führend ist: Der Freie-Elektronen-Laser FLASH bietet hochintensive ultrakurze Lichtblitze, PETRA III ist die derzeit brillanteste Speicherring-Röntgenstrahlungsquelle weltweit. Ab 2015 wird der europäische Freie-Elektronen-Laser XFEL für wissenschaftliche Experimente zur Verfügung stehen.“ Es liege auf der Hand, welchen Stellenwert die hier betriebene Grundlagenforschung für die Region habe – und weit darüber hinaus. „Die Metropolregion Hamburg schätzt sich glücklich, und ist auch ein wenig stolz darauf, dass ein nicht unwesentlicher, inzwischen weltweit berühmter Teil naturwissenschaftlicher Strukturforschung hier stattfindet.“
 
Außer von den auf dem Campus ansässigen Einrichtungen werden die DESY-Anlagen von mehreren tausend Gastforschern jährlich genutzt. Um den steigenden Bedarf zu decken, baut DESY seine Anlagen weiter aus. So werden für weitere Messplätze an der Röntgenquelle PETRA III zwei neue Experimentierhallen mit zehn zusätzlichen Messstationen gebaut, und der Freie-Elektronen-Laser FLASH wird um eine zweite Laserstrecke und eine zweite Experimentierhalle erweitert.
 
Bundeskanzlerin Merkel betonte in ihrer Festrede die Bedeutung von Fortschritten in der Grundlagenforschung als Nährboden für Technologien und Innovationen von morgen. „Sie stellen damit die Weichen für Fortschritt in Wirtschaft und Gesellschaft. Das ist für eine relativ rohstoffarme Nation wie Deutschland natürlich von allergrößter Wichtigkeit, deshalb brauchen wir die Grundlagenforschung, sie ist für uns elementar. Darin liegt der Schlüssel, ob wir auch in Zukunft in Wohlstand leben können.“ DESY biete dabei beste Voraussetzungen für globale Forschungskooperationen. „Auf dem Gebiet der naturwissenschaftlichen Grundlagenforschung spielt es weltweit eine Vorreiterrolle. Und es erweist sich als attraktiver Standort für modernste Großanlagen“, sagte die Kanzlerin.
 


Hintergrund:
Der DESY-Campus versammelt eine einzigartige Kombination von Forschungslichtquellen und Instituten, die Hamburg zu einem Weltzentrum der Nanostrukturforschung macht
 
PETRA III: Der 2,3 Kilometer lange Beschleunigerring ist die brillanteste Röntgenlichtquelle ihrer Art: PETRA III leuchtet milliardenfach intensiver als gewöhnliche Röntgenröhren, dabei sind die Röntgenstrahlen extrem stark gebündelt – 5000 Mal feiner als ein menschliches Haar. So werden tiefe und detaillierte Einblicke auch in härteste Materialien möglich.
 
FLASH: Der „Freie-Elektronen Laser in Hamburg“ erzeugt mit Hilfe eines supraleitenden Teilchenbeschleunigers und spezieller Magnetanordnungen ultrakurze und intensive Röntgenblitze mit Lasereigenschaften. Die kurzen Pulse erlauben Schnappschüsse von schnellen Vorgängen im Reich der Moleküle und sollen so beispielsweise Filmaufnahmen von chemischen Reaktionen oder von Magnetisierungsprozessen möglich machen.
 
European XFEL: Der im Bau befindliche europäische Röntgenlaser wird die Lichtquelle der Superlative – seine Röntgenblitze werden noch kurzwelliger und bis zu eine Milliarde Mal heller sein als die der heutigen beschleunigerbasierten Lichtquellen. DESY ist Hauptgesellschafter des Röntgenlasers, der 2015 in Betrieb gehen soll.
 
NanoLab: Mit dem DESY-NanoLab entsteht auf dem Campus die komplette Infrastruktur, um die oft empfindlichen Nano-Proben aus verschiedensten Forschungsbereichen direkt neben den DESY-Röntgenquellen zu präparieren, aufzubereiten und zu analysieren. Das NanoLab, das 2014 seine Tore öffnen soll, wird sowohl den jährlich über 2000 externen Nutzern als auch der DESY-eigenen Forschung neue Möglichkeiten eröffnen.
 
CFEL: Das jüngst fertiggestellte Center for Free-Electron Laser Science entwickelt und nutzt Röntgenlaser auf Basis von Teilchenbeschleunigern (Freie-Elektronen-Laser). Das Gemeinschaftsunternehmen von DESY, der Max-Planck-Gesellschaft und der Universität Hamburg vereint viele der brillantesten Forscher auf diesem Gebiet und ist auch ein herausragendes Beispiel für wissenschaftliche Kooperation.

CUI: Mit dem Hamburg Center for Ultrafast Imaging ist die Universität Hamburg gemeinsam mit DESY, CFEL und der European XFEL GmbH in der jüngsten Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder erfolgreich gewesen. Das ab November 2012 geförderte CUI wird Methoden entwickeln, um Atome in Aktion bei physikalischen, chemischen und biologischen Prozessen zu beobachten.

CSSB: Das Zentrum für strukturelle Systembiologie (Centre for Structural Systems Biology) wird ein interdisziplinäres Zentrum von insgesamt zehn Universitäten und Forschungseinrichtungen aus Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Ihr gemeinsames Ziel: Mit Hilfe der Röntgenquellen den Angriffsmechanismen von Krankheitserregern atomgenau auf die Spur zu kommen.

EMBL: Das Europäische Molekularbiologie-Labor ist mit einer eigenen Niederlassung auf dem Hamburger DESY-Campus vertreten und betreibt unter anderem an PETRA III eine eigene Messstation. Hier werden Biomoleküle atomgenau durchleuchtet, vom Protein bis zum Virus, um die Biologie besser zu verstehen und Ansatzpunkte für die Entwicklung neuer Medikamente zu finden.

HZG: Das Helmholtz-Zentrum Geesthacht betreibt an PETRA III Messstationen für die Materialforschung bei hohen Energien. Hier werden neue Werkstoffe aus Metallurgie, Physik, Chemie und anderen Bereichen erforscht und geprüft. Darüber hinaus ist das HZG Partner von DESY bei einem Neubau für den Bereich „Forschung mit Photonen“.

MPG: Die Max-Planck-Gesellschaft ist nicht nur am CFEL beteiligt, sondern plant auch die Gründung eines Instituts für strukturelle Dynamik auf dem DESY-Campus. Dort sollen mit Hilfe der einzigartigen Röntgenquellen ultraschnelle Prozesse aus dem Reich der Moleküle und Atome entschlüsselt werden.

CHyN: Das geplante Center for Hybrid Nanostructures der Universität Hamburg dient zur Entwicklung und Untersuchung von hybriden Nanostrukturen aus Festkörpern und biologischen Materialien. Hierfür ist ein Forschungsneubau mit Reinräumen für Lithografie, Depositions- und  Nanostrukturtechnik sowie Bio-Reinräumen vorgesehen.

PIER: Die 2011 ins Leben gerufene „Partnership for Innovation, Education and Research“ zwischen der Universität Hamburg und DESY fördert die Zusammenarbeit zwischen beiden Institutionen und hilft beispielsweise innovativen Projekten schnell mit einer Anschubfinanzierung auf die Sprünge.

 

Bilder in druckfähiger Auflösung

Rede der Bundeskanzlerin

Rede des Bürgermeisters