20.12.2010

Das weltgrößte Neutrino-Teleskop ist fertiggestellt

Mit dem IceCube-Observatorium am Südpol wird eines der anspruchsvollsten Projekte der Wissenschaftsgeschichte vollendet

Nach knapp sechs Jahren Bauzeit und einem Jahrzehnt Vorbereitung wurde am 18. Dezember 2010 das Neutrino-Teleskop „IceCube“ fertiggestellt. Der größte Teilchen-detektor der Welt besteht aus einem Kubikkilometer Eis am Südpol, der mit höchstempfindlichen Lichtsensoren durchsetzt ist. Sie fangen die Spuren von Neutrinos aus dem Weltall auf, um durch diese Himmelsboten Informationen über weit entfernte Galaxien zu erhalten. Neutrinos werden oft als Geisterteilchen bezeichnet, da sie große Mengen Materie unbeobachtbar durchdringen können. Der Nachweis erfordert daher gigantische Detektoren.
 

Das letzte Digitale Optische Modul (DOM) wird in den IceCube-Detektor heruntergelassen.

IceCube ist im tiefen Eis unter der US-amerikanischen Amundsen-Scott-Station am geographischen Südpol installiert. IceCube besteht aus 86 Kabeltrossen, an denen in Tiefen zwischen 1,45 und 2,45 Kilometern jeweils 60 Glaskugeln angebracht sind. Die Kugeln umschließen hochempfindliche Lichtsensoren, die das schwache bläuliche Leuchten auffangen, das bei Neutrinoreaktionen entsteht. Ein Viertel dieser insgesamt über 5000 optischen Sensoren wurde durch deutsche Forschungsgruppen bereitgestellt und am Standort Zeuthen des Deutschen Elektronen-Sychrotrons (DESY) zusammengesetzt und getestet. Die Trossen sind in 125 Meter Abstand voneinander angeordnet, sodass insgesamt ein Volumen von einem Kubikkilometer mit Lichtsensoren bestückt ist. Das Projekt wird von einem internationalen Konsortium unter Führung der US-amerikanischen National Science Foundation (NSF) betrieben. Die NSF hat auch den größten Teil der Baukosten von 279 Mio. US-Dollar übernommen.

Der Südpol ist ein idealer Ort für dieses Projekt durch sein kristallklares Tiefeneis und durch die exzellente Infrastruktur, die die Amundsen-Scott-Station bietet. Ausrüstungen und Personen werden von McMurdo, der amerikanischen Station am Rande der Antarktis, mit kufenbestückten Transportflugzeugen eingeflogen. Die Installationsarbeiten werden im antarktischen Sommer zwischen November und Februar durchgeführt, wenn die Sonne 24 Stunden am Tag scheint und die Temperaturen auf erträgliche -30°C steigen. Die Löcher, in die die Kugeln herabgelassen werden, werden mit 80°C heißem Wasser ins Eis geschmolzen. Nachdem eine Trosse mit optischen Sensoren herabgelassen ist, friert das Loch innerhalb weniger Tage wieder zu. Die von allen Sensoren gemessenen Signale werden zur Zentralstation an der Oberfläche übertragen, dort aufbereitet und via Satellit an die Forschungsinstitute auf der Nordhalbkugel gesendet.

Neutrinos sind geisterhafte Elementarteilchen, die 1930 vorhergesagt, jedoch erst 1956 nachgewiesen wurden. Milliarden von ihnen prasseln pro Sekunde auf jeden Quadratzentimeter der Erdoberfläche, und die meisten von ihnen durchdringen die Erde, ohne mit einem einzigen Atom zu kollidieren. Weil sie kaum mit anderer Materie in Wechselwirkung treten, sind Neutrinos zwar schwer nachzuweisen, können aber genau darum auch viel leichter als Licht aus kompakten kosmischen Regionen wie etwa dem Innern unserer Sonne entweichen und setzen dann ihren Flug durchs All ungestört fort. Das macht sie zu einzigartigen kosmischen Boten. Bisher nachgewiesene Neutrinos von einer 1987 registrierten Supernovaexplosion und von der Sonne haben unsere Theorien über Supernovae und über die Fusionsreaktionen im Sonneninnern überzeugend bestätigt. Dafür wurde im Jahr 2002 der Physiknobelpreis verliehen. IceCube sucht nach Neutrinos aus Quellen, die viel weiter entfernt sind als unsere Sonne – Tausende bis Milliarden von Lichtjahren. Zu den Forschungsobjekten zählen schwarze Löcher, die im Zentrum von Galaxien sitzen und Materie wie in einem Mahlstrom in sich hineinziehen und die rätselhafte Dunkle Materie, die unser Universum erfüllt, aber bisher nicht identifiziert werden konnte.
Der modulare Aufbau von IceCube hat es erlaubt, schon vor seinem endgültigen Bauabschluss Messungen durchzuführen. In jedem Jahr seit 2005 wurden mit der jeweils fertig gestellten Konfiguration von Trossen (2005: 1, 2006: 9, 2007: 22, 2008: 40, 2009: 59, 2010: 79 Trossen) Daten genommen. Mit dem wachsenden Detektor wurden die Daten von Jahr zu Jahr detaillierter und haben bereits erste Ergebnisse geliefert.

Dr. Christian Spiering vom Forschungszentrum DESY, langjähriger europäischer Koordinator des Vorläuferprojekts von IceCube und IceCube-Sprecher von 2005 bis 2007, blickt gespannt in die Zukunft: „Nun hat IceCube seine volle Empfindlichkeit erreicht, und wir hoffen auf die baldige Entdeckung extraterrestrischer Quellen hochenergetischer Neutrinos. Schon die bisherigen wissenschaftlichen Ergebnisse können sich sehen lassen. Wir haben fast hunderttausend Neutrinos registriert, die in der Erdatmosphäre erzeugt wurden, darunter solche mit Energien bis zu 400 Tera-Elektronenvolt. Das ist etwa tausendmal höher als die Energien von Neutrinos, die an Beschleunigern auf der Erde erzeugt werden. Auch ein spannendes Rätsel haben uns die bisherigen Daten schon geliefert: ein eigenartiges Muster in der Richtungsverteilung kosmischer Strahlen, dessen Erklärung noch aussteht.“

Das IceCube-Team besteht aus 260 Wissenschaftlern von 36 Forschungsinstitutionen aus 8 Ländern. Neben Forschern aus den USA, Deutschland, Schweden und Belgien (den Ländern, die IceCube finanziert haben) beteiligen sich auch Wissenschaftler aus Großbritannien, Japan, Neuseeland, Barbados und der Schweiz an der Datenanalyse. Die Leitinstitution des Projekts ist die University of Wisconsin in Madison, USA. Aus Deutschland sind beteiligt: das Deutsche Elektronen-Synchrotron DESY, die Universitäten RWTH Aachen, Humboldt-Universität zu Berlin, Bochum, Bonn, TU Dortmund, Mainz und Wuppertal sowie das Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg. Die deutschen Teilnehmer haben neben einem Viertel der optischen Module einen wesentlichen Teil der Empfangselektronik an der Eisoberfläche beigesteuert. Der deutsche Beitrag von etwa 20 Mio. € wurde durch Mittel des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), der Helmholtz-Gemeinschaft, der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und über die Grundausstattungen der beteiligten Universitäten finanziert.

 

Das IceCube-Team vor dem Herablassen des letzten Lichtsensors ins Eis.