07.10.2011

Krebspulsar strahlt mit unerwartet hoher Energie

Physikalische Modelle von Pulsaren müssen überdacht werden

Zum ersten Mal haben Forscher von einem Pulsar ausgehende Gammastrahlen ungeahnt hoher Energien nachgewiesen. Die Gammastrahlen des Krebspulsars mit Energien von über 100 Milliarden Elektronenvolt (100 GeV) wurden von den VERITAS-Teleskopen am Whipple-Observatorium im US-Bundesstaat Arizona gemessen. Ihre Existenz widerspricht allen bisherigen Modellen von Pulsaren. Die Ergebnisse des internationalen Teams von Astrophysikern unter Beteiligung von Physikern des Forschungszentrums DESY in Zeuthen hat das Fachmagazin Science an diesem Freitag veröffentlicht.

Bild des Krebsnebels, aufgenommen mit dem Hubble Space Teleskop.

Der Krebspulsar ist ein sich schnell drehender Neutronenstern, der kollabierte Kern eines schweren Sterns. Krebspulsar und der ihn umgebende Krebsnebel sind die Überreste einer spektakulären Sternenexplosion, auch Supernova genannt, die im Jahre 1054 stattfand. Beide zählen zu den am meisten studierten Himmelsobjekten.

Der Pulsar dreht sich 30 Mal pro Sekunde um die eigene Achse. Mit ihm rotiert ein starkes magnetisches Feld, von dem hochenergetische Strahlung ausgeht. Das schnell rotierende Magnetfeld erzeugt starke elektromagnetische Kräfte, in denen geladene Teilchen bis auf nahezu Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden. Dabei erzeugen sie Strahlung über ein breites Spektrum. Diese Strahlen drehen sich wie die Scheinwerfer eines Leuchtturms und werden deshalb auf der Erde als schnell pulsierend wahrgenommen.

Die Beobachtungen des Krebspulsars mit den VERITAS-Teleskopen zeigen, dass dort Gammastrahlen mit Energien von über 100 Milliarden Elektronenvolt erzeugt werden (Sichtbares Licht hat etwa die Energie von einem Elektronenvolt). Dies widerspricht fast allen astrophysikalischen Theorien, nach denen Krümmungsstrahlung für die gepulste Strahlung vom Krebspulsar verantwortlich ist. Krümmungsstrahlung entsteht, wenn hochenergetische, geladene Teilchen sich entlang gekrümmter Magnetfeldlinien bewegen. Die theoretischen Modelle sagen einen exponentiellen Abfall des Spektrums der Krümmungsstrahlung oberhalb etwa 10 Milliarden Elektronenvolt vorher. Die VERITAS-Beobachtungen von Strahlung mit mehr als zehnmal höherer Energie belegen jetzt, dass es trotz jahrelanger Beobachtungen des Krebspulsars noch kein funktionierendes Modell der Hochenergieemission gibt.

Die im renommierten Fachmagazin Science veröffentlichten Beobachtungen ermöglichen es außerdem, Einsteins spezielle Relativitätstheorie zu testen. Diese besagt, dass die Lichtgeschwindigkeit eine universelle Konstante ist. Theoretische Bestrebungen, um in so genannten Quantengravitationstheorien Einsteins Theorie mit der Quantenmechanik zu verbinden, sagen vorher, dass die Lichtgeschwindigkeit in sehr geringem Maße von der Energie eines Gammastrahls abhängt. Je höher die Energie eines Strahls ist, umso langsamer pflanzt er sich im Raum-Zeit-Kontinuum fort. Dies wäre eine Verletzung der „Lorentz-Invarianz“, die im Mittelpunkt der speziellen Relativitätstheorie steht. Mit den VERITAS-Beobachtungen der hochenergetischen Strahlung des Krebspulsars kann nach einer entsprechenden Verletzung gesucht werden. Vom Pulsar werden Gammastrahlen unterschiedlicher Energien zum gleichen Zeitpunkt abgestrahlt. Wenn diese sich mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten ausbreiten, würde sich der Effekt in einer kleinen Verschiebung der Pulspositionen bei verschiedenen Energien offenbaren.

Die VERITAS-Kollaboration besteht aus etwa 100 Wissenschaftlern, unter Ihnen die Forscher zweier Arbeitsgruppen von DESY: die Astroteilchen-Theoriegruppe von Prof. Dr. Martin Pohl und die Helmholtz-Nachwuchsgruppe von Dr. Gernot Maier. VERITAS (Very Energetic Radiation Imaging Telescope Array System) ist ein System von vier optischen Reflektoren mit je 12 Meter Durchmesser, das am Fred Lawrence Whipple Observatory im Süden Arizonas steht. Die Reflektoren nehmen das Cherenkov-Licht von elektromagnetischen Teilchenschauern in der Atmosphäre auf, welche von hochenergetischen Gammastrahlen verursacht werden.