Mit dem Röntgenlaser gegen die Schlafkrankheit

Neue Methode zur Analyse der Struktur von Schlüsselproteinen


Elektronenmikroskopische Aufnahme einer Insektenzelle, aus der ein Proteinkristall (pink) herausragt. Bild: Michael Duszenko/Universität Tübingen hier klicken.

Hamburg, 29. Januar. Ein deutsch-amerikanisches Forscherteam hat ein Schlüsselenzym des Erregers der Schlafkrankheit in einer lebenden Zelle kristallisiert und mit dem weltstärksten Röntgenlaser untersucht. Dieses neue Verfahren eröffne neue Wege zur Untersuchung der Struktur von Biomolekülen, schreiben die Wissenschaftler im Fachjournal "Nature Methods". Im Falle der Schlafkrankheit, an der bis zu 60 Millionen Menschen vor allem in Zentralafrika leiden, könne die Methode einmal zu einem neuen Behandlungsansatz gegen den Erreger Trypanosoma brucei führen.

Die dreidimensionale Struktur eines Biomoleküls verrät Biologen etwas über seine Funktion - und eröffnet im Fall eines Krankheitserregers zugleich die Perspektive, ein schädliches Protein mit einem maßgeschneiderten künstlichen Molekül zu blockieren. Legt man etwa das Enzym Cathepsin B bei Trypanosoma brucei lahm, stirbt der Parasit. Die Strukturanalyse von Biomolekülen ist jedoch ein schwieriger und langwieriger Prozess. Normalerweise muss das zu untersuchende Protein dafür zunächst im Labor zu einem ausreichend großen Kristall gezüchtet werden, der dann im Röntgenlicht beispielsweise einer Synchrotronstrahlungsquelle untersucht werden kann.

Die Kristallzucht ist kompliziert und benötigt oft Wochen oder gar Monate. Das Forscherteam, darunter Wissenschaftler der Universitäten Tübingen, Hamburg und Lübeck sowie des Deutschen Elektronen-Synchrotrons DESY in Hamburg, wählten daher einen anderen Weg. Sie schleusten mit Hilfe eines Virus die Bauanleitung für Cathepsin in lebende Insektenzellen ein und sorgten dafür, dass diese Zellen das Enzym ungebremst produzieren. Durch die stetig steigende Konzentration kristallisierte das Enzym schließlich aus. Schon nach etwa 70 Stunden waren die mikrometer-kleinen Kristalle im Lichtmikroskop sichtbar, manche stachen sogar aus den Zellen heraus.

Für eine Analyse in konventionellen Synchrotronstrahlungsquellen waren diese Kristalle immer noch zu klein und wären zu schnell von der Röntgenstrahlung geschädigt worden, was die Analyse unmöglich macht. Die Forscher schossen daher am US-amerikanischen Beschleunigerzentrum SLAC in Kalifornien den mehr als eine Milliarde Mal helleren Strahlungsblitz des Superröntgenlasers LCLS auf die Kristalle. Dieser intensive Röntgenblitz lässt die Kristalle zwar in weniger als einer billionstel Sekunde komplett verdampfen, ist aber hell genug, dass zuvor ein detailliertes Beugungsbild von dem Kristall gewonnen werden kann. Daraus lässt sich die Struktur des kristallisierten Enzyms errechnen. Allerdings muss der Versuch dafür sehr oft an einer Vielzahl von Kristallen wiederholt werden.

Das Ergebnis zeigt, dass es mit der neuen Technologie möglich wird, Daten zur Proteinstruktur von Nanokristallen in hoher Qualität zu generieren. "Unsere Experimente haben gezeigt, dass das Versprechen der Röntgenlaser Realität wird, die Strukturbiologie zu revolutionieren", urteilt DESY-Forscher Prof. Henry Chapman vom Center for Free-Elektron Laser Science (CFEL), der an den Experimenten beteiligt war. "Wir haben gezeigt, dass sich bestehende Grenzen der Protein-Kristallographie mit intensiven Röntgenpulsen überwinden lassen. Die machen aus den Proteinen zwar ein dichtes Plasma ähnlich den Bedingungen in der Sonne. Aber die Pulse sind so kurz, dass selbst kleine Details sichtbar werden, bevor die Probe zerstört wird", erläutert Chapmans Institutskollege Dr. Anton Barty.

Neben der vom Bundesforschungsministerium geförderten Nachwuchsgruppe "Strukturelle Infektionsbiologie unter Anwendung neuartiger Strahlungsquellen" (SIAS) der Universitäten Hamburg und Lübeck und der Hamburg School for Structure and Dynamics in Infection (SDI) der Landesexzellenzinitiative Hamburg, waren ein Forscherteam um Prof. Michael Duszenko von der Universität Tübingen und eine Gruppe um Prof. Henry Chapman vom Center for Free-Electron Laser Science (CFEL) sowie verschiedene DESY-Forscher beteiligt. Das CFEL ist eine Kooperation von DESY, der Max-Planck-Gesellschaft und der Universität Hamburg.

"Unser Ergebnis zeigt, dass die Superlaser völlig neue Möglichkeiten in der Strukturaufklärung biologischer Makromoleküle bieten können und vielleicht sind die Zeiten bald vorbei, in denen wir oft Monate oder Jahre brauchten, um von bestimmten Proteinen Kristalle zu züchten, die groß genug für die konventionellen Röntgenstrahlungsquellen an den Synchrotrons sind." sagt SIAS-Leiter Dr. Lars Redecke, einer der Hauptautoren der Studie.

SIAS, initiierten von den Strukturforschern Prof. Christian Betzel, Universität Hamburg, und Prof. Rolf Hilgenfeld, Universität Lübeck, forscht seit 2010 zur Anwendung neuartiger Strahlungsquellen auf die Strukturbestimmung von Proteinen und anderen biologischen Molekülen.

Mit dem europäischen Röntgenlaser European XFEL, der zurzeit in Hamburg gebaut wird, wird Forschern künftig ein weltweit einzigartiges Untersuchungsinstrument in Europa zur Verfügung stehen. Schon heute betreibt DESY den Freie-Elektronen-Laser FLASH für weiche Röntgenstrahlung.



Über LCLS
Der Röntgenlaser LCLS (Linac Coherent Light Source) ist eine vom US-Energieministerium finanzierte Großforschungsanlage am Beschleunigerzentrum SLAC in Kalifornien. LCLS ist der erste Freie-Elektronen-Laser für harte Röntgenstrahlung und eröffnet Forschern den Blick auf atomare Details und ultrakurze Prozesse in der Nanowelt. LCLS ermöglicht wegweisende Forschung in der Physik, der Chemie, der Strukturbiologie, der Energieforschung und auf zahlreichen weiteren Feldern.


Originalveröffentlichung
"In vivo protein crystallization opens new routes in structural biology"; Michael Duszenko et al.; "Nature Methods", Advance Online Publication; DOI: 10.1038/nmeth.1859
 
Wissenschaftliche Ansprechpartner
Dr. Lars Redecke, SIAS, Universität zu Lübeck
+49 40 8998-5389, Redecke@chemie.uni-hamburg.de

Prof. Henry Chapman, Center for Free-Electron Laser Science, DESY
+49 40 8998-4155, henry.chapman@desy.de

Prof. Christian Betzel, Universität Hamburg
+49 40 8998-4744, Christian.Betzel@uni-hamburg.de

Prof. Michael Duszenko, Universität Tübingen
+49 7071 297-3343, michael.duszenko@uni-tuebingen.de

Prof. Rolf Hilgenfeld, Universität zu Lübeck
+49 451 500-4060 , hilgenfeld@biochem.uni-luebeck.de


Pressekontakt
Dr. Thomas Zoufal, DESY-Pressesprecher
+49 40 8998-1666, <presse@desy.de>

 

Bilder

Überlagerung aller 988 Streubilder, die am LCLS von dem Protein gewonnen wurden. Bild: Henry Chapman/CFEL/Nature Methods. Für die Druckauflösung hier klicken.