Südpol-Teleskop liefert überraschenden Befund zu kosmischen Super-Beschleunigern

Beobachtung stellt Theorie zum Ursprung der Kosmischen Strahlung auf den Prüfstand

Illustration der empfindlichen optischen Sensoren (Photomultiplier) von IceCube, von denen mehr als 5000 bis zu 2,5 Kilometer tief im ewigen Eis der Antarktis eingeschmolzen sind. Bild: NSF/J. Yang (bitte bei Verwendung angeben)

Hamburg, 18. April 2012. Die stärksten Teilchenbeschleuniger finden sich nicht auf der Erde, sondern im Weltall: Aus dem Kosmos prasseln subatomare Teilchen auf die Erdatmosphäre, die noch millionenfach höhere Energie haben als jene im Large Hadron Collider (LHC), dem stärksten Beschleuniger der Erde. Auf welche Weise diese sogenannte kosmische Teilchenstrahlung so stark beschleunigt wird, ist allerdings noch weitgehend rätselhaft. Mit dem weltgrößten Neutrino-Teleskop IceCube in der Antarktis haben Forscher eine der vermuteten Arten kosmischer Super-Beschleuniger untersucht und festgestellt, dass sie möglicherweise doch nicht für die energiereichsten Teilchen verantwortlich sind. Damit wird eine der beiden führenden Hypothesen zum Ursprung der höchstenergetischen kosmischen Teilchen infrage gestellt, wie das internationale Forscherteam um Hauptautor Nathan Whitehorn von der Universität von Wisconsin (USA) im britischen Fachjournal "Nature" berichtet. An der Forschung mit IceCube sind rund 40 Institute aus zehn Ländern beteiligt, darunter neun Institute aus Deutschland.

Die vor hundert Jahren entdeckte Kosmische Strahlung bildet einen beständigen Teilchenhagel aus dem All. Manche Wasserstoff-Atomkerne (Protonen) darin haben so viel Energie wie ein schnell geschlagener Tennisball - dabei ist der Durchmesser eines Tennisballs 40 Billionen Mal größer. “Wir wissen, dass es diese hochenergetische Kosmische Strahlung gibt, aber wir wissen nicht, woher sie kommt", betont DESY-Forscher Prof. Alexander Kappes, der mit dem Neutrino-Teleskop dem Ursprung der Kosmischen Strahlung auf der Spur ist. Die Teilchen der Kosmischen Strahlung sind elektrisch geladen und werden auf ihrem Weg durchs All von zahlreichen Magnetfeldern abgelenkt. Daher lässt sich aus der Richtung, aus der sie die Erde treffen, nicht mehr auf ihre Quelle schließen.

Aussichtsreiche Kandidaten für die Quellen der höchstenergetischen Teilchen sind supermassereiche Schwarze Löcher im Zentrum aktiver Galaxien und sogenannte Gamma Ray Bursts (GRB). "Gamma Ray Bursts sind - nach dem Urknall - die gewaltigsten Explosionen, die wir im Kosmos kennen", betont Kappes, der auch Gastprofessor an der Berliner Humboldt-Universität ist. Sie überstrahlen für einige Sekunden das gesamte restliche Universum im Bereich der Gammastrahlung. Man nimmt an, dass es sich bei langen Gamma Ray Bursts, die mehr als zwei Sekunden lang aufflackern, um den Kernkollaps eines massereichen Sterns in einer fernen Galaxie handelt, wobei ein Schwarzes Loch entsteht.

Dieser Prozess setzt genug Energie frei, um die subatomaren Teilchen der Kosmischen Strahlung auf die beobachteten Energien zu beschleunigen. Allerdings sollten mit den energiereichen Atomkernen auch Neutrinos entstehen. Diese geisterhaften Elementarteilchen sind ultraleichte Cousins des Elektrons, die durch fast alles ungehindert hindurchfliegen. Um sie nachzuweisen, muss man riesige Detektoren einsetzen. Das Neutrino-Teleskop IceCube benutzt das ewige Eis des Südpols als Teil des Detektors. IceCube späht unter der Eisdecke mit mehr als 5000 einzelnen optischen Sensoren (Photomultipliern) in rund einem Kubikkilometer antarktischem Eis nach den extrem seltenen Zusammenstößen eines Neutrinos mit einem Atomkern.

Mit diesem weltweit empfindlichsten Neutrino-Teleskop hat das internationale IceCube-Forscherteam rund 300 Gamma Ray Bursts aus den Jahren 2008 bis 2010 untersucht. Wenn Gamma Ray Bursts die Quelle der höchstenergetischen kosmischen Teilchenstrahlung sind, sollten von den Ausbrüchen nicht nur Gammastrahlen, sondern auch Neutrinos auf direktem Weg die Erde erreichen. Denn Neutrinos sind elektrisch neutral und werden daher nicht von Magnetfeldern abgelenkt. "Erstmals haben wir ein ausreichend empfindliches Instrument, das einen neuen Blick auf die Erzeugung der Kosmischen Strahlung und auf die inneren Prozesse von Gamma Ray Bursts eröffnet", unterstreicht IceCube-Sprecher Prof. Greg Sullivan von der Universität von Maryland (USA).

Doch IceCube fand in den zwei Jahren Untersuchungszeit überraschenderweise kein einziges Neutrino, das zu einem der untersuchten rund 300 Ausbrüche passt. "Aus der Beobachtung folgen zwei Möglichkeiten", sagt Kappes. "Entweder ist unsere Vorstellung, dass Gamma Ray Bursts eine Hauptquelle der extrem energiereichen Kosmischen Strahlung sind, falsch. Oder unsere Rechenmodelle von den Vorgängen in einem Gamma Ray Burst beruhen auf falschen oder zu stark vereinfachten Annahmen." In jedem Fall müssen die gegenwärtigen Modelle zur Produktion von kosmischer Strahlung und Neutrinos in Gamma Ray Bursts überarbeitet werden.

"Obwohl wir nicht herausgefunden haben, woher die Kosmische Strahlung kommt, haben wir einen wichtigen Schritt zum Ausschluss einer der bevorzugten Vorhersagen erreicht", unterstreicht IceCube-Projektleiter Prof. Francis Halzen von der Universität von Wisconsin. Mit der vollen Ausbaustufe und mit zunehmender Messzeit wird IceCube in den kommenden Jahren wichtige Informationen zur Klärung dieser Frage liefern.


Über IceCube
IceCube ist ein Teleskop für energiereiche Neutrinos am geographischen Südpol. 5160 optische Sensoren (Photomultiplier), die bis in 2,5 Kilometer Tiefe ins ewige Eis eingelassen sind, spähen nach den Signalen seltener Neutrino-Kollisionen im Eis. Die gesamte Anlage hat ein Volumen von einem Kubikkilometer, das ist 400 Mal so groß wie die große Pyramide von Gizeh. Das weltweit größte und empfindlichste Neutrinoteleskop wird von einer Kooperation von rund 250 Physikern aus den USA, Deutschland, Schweden, Belgien, der Schweiz, Japan, Kanada, Neuseeland, Australien und Barbados betrieben. Aus Deutschland sind die Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen, die Humboldt-Universität zu Berlin, die Ruhr-Universität Bochum, die Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, die Technische Universität Dortmund, die Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, die Technische Universität München, und die Bergische Universität Wuppertal sowie das Deutsche Elektronen-Synchrotron DESY beteiligt. Der international organisierte und finanzierte Bau von IceCube wurde 2010 abgeschlossen. Der Aufbau des Experiments und die Auswertung der Daten in Deutschland wurden durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) und die Helmholtz-Allianz für Astroteilchenphysik (HAP) gefördert.


Originalveröffentlichung
"An Absence of Neutrinos Associated with Cosmic Ray Acceleration in Gamma-Ray Bursts"; Abbasi et al.; "Nature", Bd. 484, S. 351, DOI: 10.1038/nature11068

Wissenschaftlicher Ansprechpartner
Prof. Alexander Kappes, DESY-Zeuthen, Tel. 033762/7-7224, <alexander.kappes@desy.de>

Pressekontakt
DESY-Pressesprecher Dr. Thomas Zoufal, 040/8998-1666, <presse@desy.de>

 

Bilder


Illustration der IceCube-Sensoren (Photomultiplier) im Eis der Antarktis. Bild: NSF/J. Yang (bitte bei Verwendung angeben)

Illustration der IceCube-Sensoren (Photomultiplier) im Eis der Antarktis. Bild: NSF/J. Yang (bitte bei Verwendung angeben)

Darstellung des Messsignals eines nahezu horizontal fliegenden Teilchens, überlagert mit einer Illustration der IceCube-Sensoren (Photomultiplier) im Antarktis-Eis. Bild: NSF/J. Yang (bitte bei Verwendung angeben)

Überlagerung des Messsignals eines von oben nach unten fliegenden Teilchens mit einer Illustration der IceCube-Sensoren (Photomultiplier) im Antarktis-Eis. Bild: NSF/J. Yang (bitte bei Verwendung angeben)

Weitere Bilder unter http://icecube.wisc.edu/~norris/nature_press/