TESLA – Auf der Suche nach dem Anfang des Universums

Hamburg, den 23. März 2001 – Weniger als eine Billionstel Sekunde hat nach den Erkenntnissen der Wissenschaft vor etwa 15 Milliarden Jahren der Urknall gedauert, als eine unvorstellbar hohe Energiedichte bei ebenso nicht vorstellbaren Temperaturen explodierte und das Universum entstand. Ab 2011 will eine internationale zusammengesetzte Gruppe von Forschern in Norddeutschland den Urknall nachstellen, die Anfänge des Kosmos simulieren und in allen Einzelheiten im Experiment untersuchen. Dafür brauchen sie einen supraleitenden linearen Beschleuniger bis zu Tera-Elektronenvolt-Energien (TESLA). Tera ist die wissenschaftliche Abkürzung für 1000 Milliarden.

Für das unter Federführung des Deutschen Elektronen-Synchrotron (DESY) in Hamburg geplante Milliarden-Projekt (3,877 Milliarden Euro, rund 7,6 Milliarden Mark, die sich auf zehn Jahre verteilen) muss ein 33 Kilometer langer Tunnel angelegt werden, der zwischen zehn und 30 Meter tief unter der Erdoberfläche verläuft und dabei der Erdkrümmung folgt. Schon an den Forschungs- und Entwicklungsarbeiten zu dem TESLA-Linearbeschleuniger haben sich 41 wissenschaftliche Institutionen aus neun Ländern beteiligt. Wenn die hochbeschleunigten Elektronen und Positronen frontal aufeinanderstoßen, bildet sich ein "Feuerball" von außerordentlich konzentrierter, reiner Energie. Sie simuliert die Energiekonzentration während der ersten Billionstel Sekunde nach dem Beginn des Universums. Wie im Urknall entstehen aus dieser Energie neue Elementarteilchen. So können die Physiker die Anfänge des Kosmos simulieren und in allen Einzelheiten im Experiment untersuchen.

Das Projekt wird bis zum Sommer 2002 vom Wissenschaftsrat der Bundesrepublik begutachtet und kann dann von der Bundesregierung entschieden werden. Zu TESLA gehört auch ein neuer Röntgenlaser. Er übertrifft alle bisher verfügbaren Quellen von Röntgenstrahlen weit und erlaubt brillante Einblicke in atomare Dimensionen. Es werde möglich sein, Materialien mit atomarer Genauigkeit räumlich abzubilden, ihre Veränderungen zeitlich zu verfolgen (quasi zu filmen), und das sogar mit holographischen Aufnahmen. Die Forschung werde bisher unerreicht genaue Einblicke in den Aufbau und die Verhaltensweise von Materialstrukturen erhalten und so einen Zugang zur Entwicklung neuartiger Materialien schaffen. Zum Verständnis von Lebensvorgängen könnten entscheidend Einblicke in die molekulare Struktur von chemischen und biologischen Substanzen beitragen.

Die Vorarbeiten für das Projekt haben nach Angaben von DESY innerhalb einer breit angelegten Zusammenarbeit von Wissenschaftlern aus neun Nationen schon 1992 begonnen. Dabei sei jetzt die Realisierbarkeit des Projektes bewiesen worden – es ist also entscheidungsreif. Dazu legten heute die mittlerweile 41 beteiligten Institute aus neun Ländern auf einem wissenschaftlichen Kolloquium den "Technical Design Report" für TESLA vor. In fünf Bänden gibt er auf 1424 Seiten Aufschluss über alle wissenschaftlichen und technischen Details des Megaprojekts. An diesem Projektbericht haben 1134 Wissenschaftler aus 36 Ländern mitgearbeitet, was das große internationale Interesse an der Nutzung der Anlage dokumentiert. Er wird der Wissenschaft in einem zweitägigen "Kolloquium" vorgestellt, zu dem über 700 Teilnehmer aus dem In- und Ausland erwartet werden.

Die in der Zusammenarbeit entwickelte supraleitende Beschleunigungstechnik sei weltweit einmalig, betonen die Projektleiter. Bei den Forschungs- und Entwicklungsarbeiten für das Projekt seien in den vergangenen Jahren bereits zwei entscheidende technische Durchbrüche gelungen, mit denen die Realisierbarkeit der Anlage bewiesen werden konnte. Dabei handele es sich um die supraleitenden Strukturen, in denen die erforderlichen hohen Beschleunigungsfelder erreicht werden konnten, und den nach einem völlig neuen Prinzip arbeitenden Röntgenlaser.

TESLA führt nach Angaben von DESY-Direktor Professor Albrecht Wagner Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen zusammen und fördert fachübergreifendes Arbeiten an komplexen Forschungsthemen. So lasse sich wissenschaftliches Neuland erschließen, das den einzelnen Fachdisziplinen verborgen bleibe. "Hier treffen verschiedene Denk- und Wissensrichtungen zusammen. Deshalb kann TESLA zum Herzstück eines innovativen Forschungszentrums werden", sagt er. TESLA leiste einen besonderen Beitrag zur Aus- und Fortbildung von hoch qualifizierten Wissenschaftlern und Nachwuchswissenschaftlern und damit zur Zukunftsfähigkeit des Standorts Deutschland. Sie würden zu Leistungs- und Innovationsträgern, "wie sie unsere Gesellschaft zur Sicherung ihres Lebensstandards benötigt". Es sei nahe liegend, TESLA als internationale Einrichtung zu gründen und zu betreiben, da nationale Alleingänge bei derartig großen und teuren Projekten nicht sinnvoll seien. Die DESY-Wissenschaftler sind überzeugt, dass das TESLA-Konzept anderen Vorschlägen, die ähnliche Ziele verfolgten, überlegen ist und sich international durchsetzen wird. Nach Abschluss des Begutachtungs- und Genehmigungsverfahrens sowie der Planfeststellung für das Bauwerk und der internationalen Vereinbarungen könnte der Schildvortrieb für den Tunnel eventuell schon im Jahr 2003 beginnen. Nach achtjähriger Bauzeit könne somit etwa 2011 der Wissenschaft eine neuartige Anlage zur Verfügung stehen, "die einzigartige Innovationsschübe auf weit gesteckten Feldern der Forschung und Technologie verspricht, vom Ursprung und Aufbau der Materie bis hin zu den Grundlagen des Lebens".

Da ein Beschleuniger weder Lärm noch giftige Abgase erzeuge und auch nicht explodieren könne, habe dessen Betrieb auch keine Auswirkungen auf die Umwelt. Die aus den unter der Erde verlaufenden Beschleunigern austretende Strahlung sei vernachlässigbar gering, versicherte Wagner. Ihr Pegel werde bei TESLA an der Erdoberfläche weniger als ein Hundertstel der natürlichen, stets in der Umwelt vorhandenen Strahlung betragen. Die DESY-Forscher können auf die jahrelange Nutzung anderer Beschleuniger, wie zum Beispiel des 6,3 Kilometer langen HERA-Beschleunigers, zurückblicken. Der Betrieb von HERA habe keine Auswirkungen auf die Umwelt. Seit 1996 stehe DESY mit der ortsansässigen Bevölkerung und den politischen Gremien sowie mit den 15 Gemeinden im Kreis Pinneberg entlang der geplanten TESLA-Trasse in Kontakt. "Es ist bemerkenswert, wie positiv und aufgeschlossen die Menschen dem TESLA-Projekt begegnen", berichtet Petra Folkerts, Pressesprecherin von DESY.