DESY News: ERC-Consolidator-Grant für Rafael Porto

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06.05.2019
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ERC-Consolidator-Grant für Rafael Porto

Das Portfolio des Forschungszentrums wird um Gravitationswellenphysik erweitert

DESY-Neuzugang Rafael Porto im Forschungsbereich Astroteilchenphysik hat vom Europäischen Forschungsrat ERC einen der am höchsten dotierten und begehrtesten Förderzuschüsse Europas bekommen: Der Wissenschaftler sicherte sich 2018 einen ERC-Consolidator-Grant über zwei Millionen Euro mit einer Laufzeit von fünf Jahren für seine Arbeit in der Gravitationswellenforschung anhand von neuartigen Verfahren, die er und seine Mitarbeiter erstmals entwickelt haben.

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Neuzugang im Forschungsbereich Astroteilchenphysik: Rafael Porto. Bild: privat
Portos interdisziplinäre Gruppe namens „Präzisionsgravitation: Vom LHC bis LISA“ besteht aus einer Reihe von Doktoranden und Postdoktoranden, die auf Gravitations- und Teilchenphysik spezialisiert sind und unter dem Dach der Gravitationswellenphysik zusammenarbeiten sollen, um „die Grenzen unseres analytischen Verständnisses der Gravitation neu zu definieren“, wie es Porto formuliert. 

Gravitationswellen sind Schwingungen der Raumzeit, die im Prinzip von jeder bewegten Masse ausgelöst werden. Erst bei sehr großen Massen wie kollidierenden Neutronensternen oder verschmelzenden Schwarzen Löchern werden sie mit Hilfe hochpräziser Laser-Interferometern messbar. Auf diese Weise hatte das LIGO-Observatorium in den USA erstmals und später auch das europäische VIRGO-Observatorium Gravitationswellen aus den Tiefen des Alls beobachtet. Die auf der Erde eintreffenden Gravitationswellen liefern Informationen über extreme Ereignisse und letztendlich über die Schwerkraft selbst. Die Möglichkeit einer direkten Messung hat ein neues Zeitalter der sogenannten Multimessenger-Astronomie eingeläutet. Hierbei werden unterschiedliche Beobachtungmethoden eingesetzt, zum Beispiel Teleskope oder Neutrinodetektoren, um die Merkmale der Quelle zu entschlüsseln und so unser Wissen um die Struktur des Universums um einen weiteren Blickwinkel zu erweitern.

Christian Stegmann, Direktor des Bereichs Astroteilchenphysik bei DESY, sagt: „Die Gravitationswellenphysik wird wahrhaft zur interdisziplinären Wissenschaft, nicht zuletzt dank Rafael und seiner bahnbrechenden Arbeit. Wir sind ungeheuer stolz, dass er diesen angesehenen ERC-Grant gewonnen hat und unserem Team beigetreten ist. Wenn Forscherinnen und Forscher aus so unterschiedlichen Bereichen wie die Astrophysik, Kosmologie, allgemeine Relativitätstheorie, theoretische Physik und Teilchenphysik ihre Köpfe zusammenstecken, können wir uns in den kommenden Jahren auf spannende neue Erkenntnisse aus der Beobachtung von Gravitationswellen freuen.“

Der Teilchenphysiker Rafael Porto kommt ursprünglich aus Uruguay und promovierte 2007 in Physik an der Carnegie Mellon University in den USA. Bereits mit seiner Doktorarbeit führte er neue Ideen und Ergebnisse in die Gravitationsphysik ein. Insbesondere löste Porto zusammen mit der Betreuerin seiner Doktorarbeit, Ira Rothstein, erstmalig die Dynamik von binären Schwarzen Löchern aufgrund nichtlinearer Spineffekte im Bereich schwacher Feldstärken, ein Problem, mit dem sich Wissenschaftler bereits viele Jahrzehnte herumgeschlagen hatten. Später bekleidete er Postdoktorandenstellen am Kavli Institute for Theoretical Physics in Santa Barbara und anschließend am Institute for Advanced Study (IAS) in Princeton, wo er auch an neuen Ansätzen in der Kosmologie arbeitete. Bevor er zu DESY wechselte, war er Fakultätsmitglied des ICTP South American Institute for Fundamental Research in Sao Paulo.

Der Schwerpunkt von Portos Arbeit liegt im Einsatz eines neuen Modells – dem Ansatz der sogenannten effektiven Feldtheorie – zur Lösung des Zweikörperproblems im Bereich der Gravitation. Anders als bei der Berechnung der Bewegung anhand der Newtonschen Gesetze, bei der keine Gravitationswellen vorkommen, führt die besondere Nichtlinearität von Einsteins Gleichungen dazu, dass die Bestimmung genauer Lösungen sehr kompliziert ist. In den fortgeschrittenen Stadien sind numerische Methoden erforderlich; bei vielen Quellen entsteht allerdings der Großteil des Gravitationswellensignals während der anfänglichen „inspiralen“ Phase. Hier haben Porto und seine Mitstreiter eine neue Sichtweise des Problems erschlossen: Sie nutzen Methoden, die ursprünglich für die Teilchenphysik entwickelt wurden, um an Teilchenbeschleunigern die starke Wechselwirkung zu untersuchen. Die Arbeit Portos und seiner Kollegen hilft bei der Modellierung von rotierenden Binärsystemen in der allgemeinen Relativitätstheorie anhand von analytischen Methoden und bei der Erstellung von genauen Gravitationswellenvorlagen, die wiederum bei der Bestimmung der jeweiligen Quelle und der Suche nach neuer Physik helfen. 

Die Teilchenphysik verwendet präzise Vorhersagen auf Basis der Theorie, die die Bausteine und Wechselwirkungen der Materie beschreibt – dem sogenannten Standardmodell der Teilchenphysik –, um nach neuen Phänomenen zu suchen, die sich in Ereignissen aus Teilchenkollisionen verbergen könnten. Mithilfe ähnlicher Ideen und Verfahren ließe sich Portos Arbeit im Bereich der allgemeinen Relativitätstheorie ebenfalls für die Suche nach neuer Physik in den Daten aus Gravitationswellenereignissen nutzen. „Wir wollen mit Verfahren, die bei der Suche nach neuer Physik am LHC eine wesentliche Rolle gespielt haben, über die aktuellen rechnerischen Muster in der allgemeinen Relativitätstheorie hinauszugehen“, sagt Porto.

Welche Art von neuer Physik könnte in Gravitationswellendaten stecken? Wenn Gravitationswellen-Observatorien wie LIGO/VIRGO erst einmal ihre geplante Empfindlichkeit erreicht haben, könnten Forscherinnen und Forscher mithilfe von Gravitationswellensignalen vielleicht nach neuen, ultraleichten Teilchen suchen und die Eigenschaften von Schwarzen Löchern und Neutronensternen untersuchen. „Wir möchten unterschiedliche und scheinbar nicht miteinander verwandte Verfahren und Forscher zusammenbringen, die sich im neu entstehenden Bereich der Gravitationswellenphysik konzentrieren – von feldtheoretischen Methoden, analytischer und numerischer Relativität, bis hin zur Astrophysik und Datenanalyse. So können wir alle möglichen Herangehensweisen nutzen, um mehr über das Universum zu erfahren“, sagt Porto. „Ganz nebenbei werden wir die Schwerkraft selbst durchleuchten, um herauszufinden, ob Einsteins Theorie einer genauen Prüfung standhält.“

Der Europäische Forschungsrat (ERC) verleiht die ERC Consolidator Grants an Forscherinnen und Forscher beliebiger Nationalität aus allen Disziplinen, die sieben bis zwölf Jahre Erfahrung nach ihrer Promotion und „eine vielversprechende wissenschaftliche Laufbahn sowie einen ausgezeichneten Forschungsantrag“ vorweisen können. Porto ist einer von 291 Wissenschaftlern aus allen Disziplinen, die die Auszeichnung im Jahr 2018 erhalten haben, und einer von 12 in der Abteilung PE2, zu der Gravitations- und Teilchenphysik gehören. Portos Bezuschussung beginnt im Juni 2019.