DESY News: Photonische Kristalle in 3D

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22.09.2016
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Photonische Kristalle in 3D

Innovative Technik ermöglicht individuelle Analyse mesoskopischer Materialien

Eine bei DESY entwickelte neue Methode zeigt die individuelle innere Struktur sogenannter photonischer Kristalle und verwandter Materialien in 3D. Die Technik liefert die genauen Positionen der einzelnen Bausteine eines solchen Kristalls, ohne dass dafür Annahmen über die erwartete Struktur gemacht oder Strukturmodelle aufgestellt werden müssen. Ein Team um DESY-Forscher Ivan Vartaniants stellt die Entwicklung im Fachblatt „Physicsal Review Letters“ vor. Photonische Kristalle finden breite Anwendung in der Informationstechnologie, Chemie und Physik.

Elektronenmikroskop-Aufnahme eines kolloidalen Kristalls aus Polystyrol-Kügelchen. Bild: Janne-Mieke Meijer, Universität Utrecht (nach Phys. Rev. B, 86, 064303 (2012) © APS)
Photonische Kristalle sind regelmäßige Anordnungen von 200 bis 400 Nanometer (millionstel Millimeter) kleinen Partikeln. Die innere Struktur dieser Kristalle ist damit größer als diejeniger klassischer Kristalle und bewegt sich in der Größenordnung der Wellenlänge des sichtbaren Lichts. Damit eignen sich diese Strukturen gut, um optische Photonen zu leiten und zu manipulieren – daher der Name photonische Kristalle. Ein Beispiel für einen natürlichen photonischen Kristall ist der Edelstein Opal, der aus kleinen Kieselgel-Perlen mit einer Größe von 150 bis 400 Nanometern aufgebaut ist. „Auch die Farben von Schmetterlingsflügeln kommen oft durch ähnliche photonische Strukturen zustande“, erläutert Vartaniants.

Ganz allgemein werden periodische Anordnungen solcher kleinen Partikel kolloidale Kristalle genannt. Die Eigenschaften kolloidaler Kristalle hängen stark von deren genauer innerer Struktur ab. „Für viele Anwendungen ist es unerlässlich die tatsächliche Struktur eines kolloidalen Kristalls in jedem Detail zu verstehen“, sagt Ko-Autor Andrei Petukhov von der Universität Utrecht in den Niederlanden. Um photonische Kristalle beispielsweise als Wellenleiter in optischen Netzwerken zu verwenden, ist es oft notwendig, wohldefinierte Fehlstellen in die Kristallstruktur einzubauen.

„Diese Strukturen zu analysieren hat sich jedoch als kompliziert erwiesen“, sagt Vartaniants. „Optische Mikroskope bieten oft nicht die nötige räumliche Auflösung. Elektronenmikroskope zeigen viel mehr Details, aber da Elektronen nicht weit unter die Oberfläche eindringen, bleibt das Innere des Kristalls verborgen. Röntgenstrahlen durchdringen den gesamten Kristall mit Leichtigkeit und können feine Details enthüllen, aber sie bilden den Kristall nicht direkt ab – seine Struktur muss aus der Art und Weise berechnet werden, wie die Röntgenstrahlen von der Probe gestreut werden. Üblicherweise sind dazu Annahmen über die Struktur oder Modelle davon nötig.“

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Der helle, kohärente Röntgenstrahl (grün) von PETRA III erzeugt ein charakteristisches Beugungsmuster auf dem Detektor (oben rechts), aus dem sich nicht nur die Form des untersuchten kolloidalen Kristalls berechnen lässt, sondern auch die individuellen Positionen seiner Bausteine bestimmt werden können (oben links und unten rechts). Bild: Anatloy Shabalin und Ivan Vartaniants, DESY
Die Wissenschaftler nutzten nun die extrem brillante Röntgenstrahlung von DESYs Forschungslichtquelle PETRA III auf einem neuen Weg, um die innere Struktur künstlicher kolloidaler Kristalle zu analysieren, die im Labor von Petukhov aus 230 Nanometer kleinen Siliziumdioxid-Kügelchen gezüchtet worden waren. „Die untersuchten Kristallproben maßen zwei mal drei mal vier Mikrometer“, berichtet Ko-Autor Michael Sprung, Leiter der DESY-Messstation P10, an der die Untersuchung stattfand. Ein Mikrometer entspricht 1000 Nanometern. “Die Probe wurde mit einem kohärenten Röntgenstrahl von PETRA III komplett ausgeleuchtet und rotiert, um die Struktur von allen Seiten aufzunehmen.“

Wie in der konventionellen Kristallographie wurden die Röntgenstrahlen vom untersuchten Kristall gestreut, so dass ein charakteristisches Beugungsmuster auf dem Detektor entstand. „Während sich die konventionelle Kristallographie auf die Position der hellen Flecken im Streubild konzentriert, der sogenannten Bragg-Peaks, erzeugt die kohärente, laser-artige Beleuchtung der Probe auch ein Interferenzmuster zwischen den Bragg-Peaks“, erläutert Erstautor Anatoly Shabalin von DESY. Die Auswertung dieser kombinierten Muster lieferte den Wissenschaftlern nicht nur die allgemeine innere Struktur des Kristalls, sondern auch die Positionen der einzelnen Siliziumdioxid-Kügelchen, aus denen der Kristall aufgebaut ist. Diese Analyse enthüllte damit die individuelle, dreidimensionale innere Struktur des untersuchten Kristalls, einschließlich inneren Fehlstellen verschiedener Art.

„Unsere Methode eröffnet neue Wege, um die innere, dreidimensionale Struktur mesoskopischer Materialien wie photonischer Kristalle mit kohärentem Röntgenlicht zu visualisieren“, unterstreicht Vartaniants. „Insbesondere für die Röntgenlichtquellen der nächsten Generation kann diese Technik den Weg ebnen, um auch Nanokristalle mit atomarer Auflösung zu analysieren.“

Abgesehen von DESY und der Universität Utrecht waren an der Studie das Moskauer Ingenieur- und Physik-Institut, die Universität Göttingen, das A.V.-Shubnikov-Institut für Kristallographie in Moskau, die Technische Universität Eindhoven in den Niederlanden und das NRC Kurchatov-Institut in Moskau beteiligt.

 

Originalarbeit:
Revealing three-dimensional structure of an individual colloidal crystal grain by coherent X-ray diffractive imaging; A.G. Shabalin, J.-M. Meijer, R. Dronyak, O.M. Yefanov, A. Singer, R.P. Kurta, U. Lorenz, O.Y. Gorobtsov, D. Dzhigaev, S. Kalbfleisch, J. Gulden, A.V. Zozulya, M. Sprung, A.V. Petukhov, and I.A. Vartanyants; „Physical Review Letters“, 2016; DOI: 10.1103/PhysRevLett.117.138002